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Mittwoch, 18. Februar 2015

Interdisziplinär, vernetzt - mit simulierter Authentizität


Es gibt einige Modeworte, die immer wieder im kulturellen Kunstkontext auftauchen. Das eine ist „interdisziplinär“ und verspricht eine Synthese von künstlerischen oder wissenschaftlichen Ergebnissen und Aussagen. Kunst ist hingegen überhaupt keine Wissenschaft und hat in den verschiedenen empirischen Untersuchungsmethoden der Wissenschaft überhaupt nichts verloren. Was bei der Kunst „visionär“ sein kann, ist in der Wissenschaft meistens nur peinlich. 

Gemeint ist in der derzeitigen Subkultur vermutlich etwas anderes. Wir sind eine Open Community und betreiben Wissens-Sharing; gleichgültig, ob jemand Atomphysiker, Ornithologe, Autor, Kurator, Kritiker, Kunstmanager oder Bildender Künstler ist – Hauptsache die Grenzen werden überschritten und nicht erforscht. So ist der Kurator einer Ausstellung ein wichtigerer Künstler als der Künstler, der in der Ausstellung vertreten ist – was per se ein großer Unsinn ist. 

Da sich Kunst in der bürgerlichen Wahrnehmung auch immer gut für Dekor und Emblematik eignet, liegt es auf der Hand, dass sich öffentliche (Wissenschafts)Einrichtungen gern mit „interdisziplinären Projekten“ schmücken. Ob nun Ausstellungen im Botanischen oder Zoologischen Garten oder Hochzeiten in der Sternwarte, – beides bewegt sich im Grenzgebiet mangelnder öffentlicher Aufmerksamkeit und klammer Kassen. 

Was in der Off-Off-Kunst mit „Interdisziplinär“ gemeint ist, bedeutet das Nebeneinander von Teilaspekten, denen man eine visionäre Aura verleihen will. (Kunst und Neurologie, Hirnforschung und Kunst etc.). Dabei bedingt Interdisziplinarität die Synthese verschiedener Teilaspekte, ein reines Nebeneinander dieser Aspekte reicht hierfür nicht aus. 

Ein weiteres Mißverständnis ist der Begriff „vernetzt“. Das medizinische Adäquat findet sich in der Neurologie. Und Teile der subventionierten Hirnforschung untersuchen die Wirkung der Werbung auf bestimmte Hirnareale im CT, um das Produkt-Placement zu optimieren. 

Wohin wir auch gehen, worüber wir auch reden – eine Schleimspur des Konsums wird uns folgen. Eine moralische Aufgabe kritischer Kunst könnte es nun sein, sich in diesem Sinne nicht mehr zu vernetzen, Freundesanfragen zu ignorieren, aus dem permanenten Werbeblog auszusteigen und die sozialen Netzwerke als das zu identifizieren, was sie wirklich sind: asoziale Netzwerke. 

„Vernetzte Künstler“ mit ihren „interdisziplinären Projekten“ sind in diesem Sinne Teilaspekte einer unaufhörlichen Werbesignatur. 

Mit einem Freund sah ich mir eine Performance von Blixa Bargeld an - aus jüngerer Zeit. Und etwas später schaute ich noch einen Film unter der Bezeichnung „Vocal Art“, wobei die Performance mit „Vocal Art“ nichts zu tun hatte. Es wurden läppische Anekdoten über Kassettenrecorder aus dem letzten Jahrhundert erzählt, elektronische Rückkoppeliungsspielerien mit 50 Hz (oder mehr?) inszeniert und über ein Gedicht von Hans Arp schwadroniert, "das man bei Google garantiert nicht findet". Das Publikum lachte an Stellen, die ich überhaupt nicht witzig fand. Nun gut, Fans wahrscheinlich. 

Jenseits aller Häme fand ich das eher nur traurig. Was war das nun? Konzeptkunst, Performance, experimentelle Musik, Vocal Art? Von allem ein bisschen? Nein, nichts. Und dennoch ein interessantes Phänomen, was die Simulation von Authentizität angeht. 

Kann man etwas werden, wenn man nichts oder wenig kann? Ja, das geht. Die „Einstürzenden Neubauten“ waren die subkulturellen Meister des Eklektizismus. Sie waren weder Musiker noch Konzeptkünstler. Als Künstler waren sie zu schlecht und für wirklich schlechte Musik auch wieder zu gut. Damals genügte es, Krach zu machen, Heroin zu nehmen und Artaud zu zitieren um Genialität zu simulieren. Und das Feld aufladbarer Ikonen erschien grenzenlos: schizophrene Kunst, Dandyismus, Theater der Grausamkeit. Alle Aktionen als ein „als ob“ – Authentizitäts-Simulationen. 


Wenn der Simulator authentisch sein will, muss er seine Simulationen dementieren. Was bleibt ist das Dementi seiner Kunst, was einer wirklichen Tragödie gleichkommt. 

H.A.

(Auch eine Performance. Und gar nicht mal schlecht:)
https://www.youtube.com/watch?v=EpO6qagM8ZA

Montag, 16. Februar 2015

Abu Bakar auf dem Obersalzberg


Hitler liebte Hausmusik im engsten Kreise zur privaten Unterhaltung und zur Unterhaltung von Gästen auf dem Obersalzberg. Gerade zu dem Zeitpunkt, als Hanfstaengl die Bühne auf dem Obersalzberg verließ – Anfang 1937 – kommt ein weiterer Hauspianist ins Spiel, ein Künstler aus Java, der danach längere Zeit auf dem Obersalzberg wohnte und Hitler und Eva Braun mit seinen Klavierkünsten unterhielt. Der Journalist Iwan Ong Santosa und seine Mutter erinnern sich:

Anfang der 1990er Jahre wollte die Mutter von Iwan Ong Santosa ein Haus in Bogor in West-Java kaufen. Ihr wurde ein Haus in der Jalan Tajur angeboten. Iwan Ong Santosa, damals etwa 18 Jahre alt, begleitete seine Mutter zu einem ersten Besichtigungstermin. Das Haus machte einen etwas heruntergekommenen Eindruck, aber nach einer Renovierung hätte es ihren Ansprüchen genügt. Besonders gefiel ihnen der – ebenfalls etwas vernachlässigte – Garten. Die Mutter zeigte Interesse und es folgten noch weitere Verhandlungstermine in dem Haus des Eigentümers. Iwan Ong Santosa war von dem Hausherrn, seinen Erzählungen und der Einrichtung im Wohnzimmer des Hauses so beeindruckt, dass er seine Mutter bei jedem weiteren Besuch dorthin begleitete.

Der Hauseigentümer war ein gewisser Abu Bakar. Er war ein kleiner untersetzter Mann mit einem grauen Lockenkopf – so, wie ihn Albert Einstein hatte, eine echte Künstlernatur. Er gab Privatunterricht für Klavier und Violine und er konnte sich mit den Einnahmen gerade so über Wasser halten. Damals war er vermutlich schon an die 80 Jahre alt. Seine Hautfarbe war relativ hell, vermutlich die eines Indos, eines Mischlings. Was den jungen Iwan Ong Santosa besonders interessierte, war das Wohnzimmer. Das Möbelstück, das den großen Raum dominierte, war der mitten im Raum stehende mächtige Flügel. Violinen standen in den Ecken des Raums. Die Wände waren rundum mit vielen Fotos und Ausschnitten aus indonesischen und deutschen Zeitungen gepflastert. Sie zeigten Abu Bakar mit Hitler und Abu Bakar am Flügel spielend, mit Hitler und Eva Braun daneben. Abu Bakar habe stolz erzählt, dass er 1937 und während des Krieges in Deutschland gelebt habe, die längste Zeit davon in einem Nebengebäude von Hitlers Residenz auf dem Obersalzberg. Hier wäre er regelmäßig mit Hitler und Eva Braun zusammengetroffen, wenn sie am Abend bei seiner Musik Ent- spannung suchten. Als Junge war Iwan Ong Santosa tief beeindruckt, denn Hitler übte damals auch auf ihn – wie auf viele Indonesier – eine große Faszination aus.

Letztendlich kam der Hauskauf doch nicht zustande. Abu Bakar galt als sehr exzentrisch. Als die Verkaufsverhandlungen schon ziemlich weit fortgeschritten waren und kurz vor einem Abschluss standen, wollte er plötzlich sein trautes Heim doch nicht verkaufen. Die Mutter von Iwan Ong Santosa entschied sich für ein anderes Objekt. An mehr Details konnten sich Mutter und Sohn nicht mehr erinnern. Ich aber wollte noch mehr über Abu Bakar in Erfahrung bringen!

Im September 2011 begab ich mich mit Herrn Iwan Ong Santosa auf Spurensuche in Bogor. Zu der Zeit, als ich noch in Indonesien lebte, führte eine schmale Straße über Tjimanggis (heute: Cimanggis) nach Bogor, auf der man regelmäßig durch viele Verkehrstaus aufgehalten wurde. Heute gibt es eine Mautstraße mit Autobahncharakter, auf der man in einer halben Stunde im etwa 45 Kilometer entfernten Bogor ist.

Das Haus von Abu Bakar in der Straße Jalan Tajur war verschwunden. Wir fanden nur noch einen verwilderten Garten mit hohen Bambusstauden, Bäumen mit riesigen Papayas und ein paar Kokospalmen vor. Die älteren Nachbarn und ein pensionierter Verwaltungsbeamter des Distrikts wussten aber noch einiges über ihn: Abu Bakar sei um 1994 aus dem Haus ausgezo- gen und habe es an den jetzigen Nachbarn, einen Kraftfahrzeughändler, verkauft. Zu der Zeit sei er schon sehr alt gewesen und sei vermutlich in Jakarta in einem Altersheim verstorben. Abu Bakar war sein Leben lang Junggeselle und er sei im Alter sehr einsam gewesen. Verwandtschaft wurde nie bei ihm gesehen und es wurde vermutet, dass er keine Verwandten in Indonesien hatte. Seine einzige Ablenkung von der Einsamkeit seien das Klavierspiel und der Klavier- und Geigen-Unterricht gewesen. Bis zu seinem Auszug hätte er Jugendliche in seinem Haus unterrichtet.

In den 1930er Jahre sei sein Leben allerdings viel aktiver gewesen. Er sei oft auf verschiedenen Plantagen rund um Bandung engagiert worden, um dort für die einsamen weißen Pflanzer und deren Familien, gegen eine Entlohnung Klavier-Konzerte zu geben. Hauskonzerte dieser Art waren damals bei den Plantagenverwaltern allgemein üblich und beliebt.

Abu Bakar war – wie von Herrn Iwan Ong Santosa richtig vermutet wurde – ein Indo, ein Mischling von einem islamischen Vater aus Westjava und einer holländischen Mutter. Dies erklärte auch seine hellere Hautfarbe. Diese hellere Hautfarbe war unter den gebräunten Menschen eigentlich sehr wertvoll und geschätzt. Schwangere Frauen aßen sogar Safranblüten und Blätter der Hibiskusblüten, da nach einer alten Überlieferung die Kinder dadurch hellhäutiger werden würden. Auch in Apotheken werden bis heute Cremes und andere Mittelchen hergestellt, um die dunkle Haut zu bleichen.

Im Netzwerk der indonesischen Gesellschaft saßen die Mischlinge jedoch immer zwischen zwei Stühlen: Von den weißen Niederländern wurden sie nicht für voll genommen und mussten um Anerkennung kämpfen; unter den Einheimischen wurden sie als überheblich und eher der weißen Rasse zugetan eingestuft. Für Indos war es weit schwieriger auf der gesellschaftlichen Leiter nach oben zu kommen als für die Blanken, wie die ‚Weißen‘ von den Einheimischen genannt wurden. Die Indos bekamen nur selten von den Blanken und von den Einheimischen Anerkennung. Wie Abu Bakar wurden diese Menschen oft von Einsamkeit geplagt. Daher war seine Gastrolle bei Hitler für ihn etwas ganz Besonderes.

Wie die Nachbarn erzählten, hätte Abu Bakar im Alter immer wieder stolz von seinem Aufenthalt bei Hitler auf dem Obersalzberg erzählt und Fotos mit Hitler und Eva Braun gezeigt. Nach den Erzählungen der Nachbarn schien dies die wichtigste Periode seines Lebens gewesen zu sein.

Leider waren die Fotos und Zeitungsausschnitte bei unserem Besuch in Bogor verschwunden. Kontaktpersonen oder Anhaltspunkte über seinen letzten Aufenthalt konnten wir nicht in Erfahrung bringen. Vermutlich sind diese Zeitdokumente mit Abu Bakar ins Grab gegangen, oder beim Abriss seines Hauses unter den Trümmern begraben worden.

Aber wie kam Abu Bakar nach Deutschland zu Hitler und durch wen? Diese Frage kann wohl nicht mehr eindeutig geklärt werden. Aber der Schlüssel zu dieser Antwort kann meiner Ansicht nach nur bei Walther Hewel liegen. Hewel lebte bis zum Jahre 1936 auf der Plantage ‚Neglasari Estate‘ bei Garoet (heute: Garut) in Westjava, nicht weit von Bandung entfernt. Hewel war ein großer Freund von klassischer Musik. An mehreren Stellen seines Tagebuches findet man Hinweise dazu. Liegt es da nicht auf der Hand, dass Hewel bei Konzerten auf der von ihm verwalteten Plantage Abu Bakar kennenlernte und nach Deutschland kommen ließ? Denn nur kurze Zeit nach Walther Hewel verließ auch Abu Bakar Niederländisch-Indien mit dem Ziel Deutschland. Wenn Hewel vor seiner Abreise aus Niederländisch-Indien erfuhr, dass Ernst Hanfstaengl geflüchtet war, hätte er noch alle Vorkehrungen für eine Übersiedlung Abu Bakars nach Deutschland treffen können.

Hewel war, wie anscheinend auch Abu Bakar, meist auf dem Obersalzberg. Bei privaten Filmaufnahmen, die Eva Braun dort machte, ist immer wieder Walther Hewel mit Hitler oder Gästen zu sehen. Einen Indonesier habe ich auf diesen Aufnahmen nie entdecken können. Zufall oder wollte man Abu Bakar nicht zeigen? Ein Nicht-Arier und dazu noch ein Mischling in Hitler Nähe? Das wäre doch unerhört gewesen! Andererseits hatte Abu Bakar gegenüber Hanfstaengl auch große Vorteile: Abu Bakar war neutral. Er sprach wohl Niederländisch, konnte aber kaum verstehen, was im ‚Inneren Kreis‘ gesprochen wurde. Nur mit Hewel konnte er sich in seiner Landessprache verständigen.


Nach 1950 kam Abu Bakar wohlbehalten in seine alte Heimat, nach Indonesien, zurück. Reich ist er durch seine musikalische Unterhaltung der Nazi-Elite nicht geworden, aber er war in Bogor durch seinen Aufenthalt in der Umgebung von Hitler hoch geachtet und seine Erzählungen über Hitler und den Obersalzberg wurden in der Nachbarschaft immer gerne gehört.

Text aus: Horst H. Geerken, Hitlers Griff nach Asien. Zwei Bände, Books on Demand, 2015

Montag, 2. Februar 2015

Pierre Garnier – Ein Kinderbuch



I forgot that I have forgotten Pierre Garnier

Ich habe vergessen, dass ich Pierre Garnier vergessen habe

Me olvidé de que he olvidado Pierre Garnier

Je ai oublié que je ai oublié Pierre Garnier


But Pierre Garnier you can not forget

Aber Pierre Garnier kann man nicht vergessen

Pero Pierre Garnier no se puede olvidar

Mais Pierre Garnier vous ne pouvez pas oublier


His thoughts move to the clouds go

Seine Gedanken ziehen in den Wolken dahin

Sus pensamientos se mueven a las nubes van

Ses pensées se déplacent vers les nuages vont


In the clouds appear images

In den Wolken erscheinen Bilder

En las nubes aparecer imágenes

Dans les nuages apparaissent images


A church, a village

Eine Kirche, ein Dorf

Una iglesia, un pueblo

Une église, un village


And behind the Atlantic Ocean

Und dahinter der Atlantische Ozean

Y detrás del Océano Atlántico

Et derrière l'océan Atlantique


Deep blue under black sky

Tiefblau unterm schwarzen Himmel

Azul profundo bajo el cielo negro

Bleu profond sous le ciel noir


Ocean and sky

Ozean und Himmel

Océano y el cielo

Océano y el cielo


Ally two eternities

Verbündete zweier Ewigkeiten

Ally dos eternidades

Ally deux éternités


In one fear

In der einen die Angst

En un miedo

Dans une crainte


In the other, the desire

In der anderen die Sehnsucht

En el otro, el deseo

Dans l'autre, le désir


What if death is dead?

Was passiert, wenn der Tod tot ist?

Y si la muerte está muerto?

Que faire si la mort est mort?


Gold & Sold Artist Production, Pierre Garnier – Ein Kinderbuch. Für Pierre Garnier (9. Januar 1928 – 1. Februar 2014). Veröffentlicht in der Reihe MMM-Extraausgabe Nr. 31, Amsterdam – Berlin 2015 mit 6 Handschriften von Freddy Flores Knistoff sowie 6 Zeichnungen und 12 Sätzen von Hartmut Andryczuk.


Donnerstag, 29. Januar 2015

Danse macabre


Der Herr Doktor Versaltzer tanzt nächtlich den Walzer
mit Esther, einer kleinen Schwester,
im Spital
durch die Abteilung Bronchien und Lungen
eng umschlungen
durch die Geistesgestörten zum Kriegsversehrtensaal.

Der Herr Doktor Versaltzer tanzt Walzer gern ohne
Orchester, aber auch die Schwester
liebt er sehr.
Und so tanzen sie zärtlich und innig
durch die Klinik,
über Watte und Pillen, Bazillen ringsumher.

In Zweihundertdrei stirbt Herr Meier,
in Zweihundertvier stirbt Frau Kraus.
Herr Meier hat eitrige Eier,
Frau Kraus hat vier Kinder zuhaus.

Frau Schultz nebenan hat ein Brustkarzinom,
und jetzt spuckt sie noch Blut jede Nacht.
Und die kleine Marie hat die Epilepsie,
dabei ist sie erst siebn oder acht.

Und alle hört man sie stöhnen,
als könnten sie sich nicht dran gewöhnen,
nur der Doktor Versaltzer tanzt Walzer
und trällert und lacht.

Aber Esther, die Schwester, hält fester den Doktor
und enger, und sie blickt ihm strenger
ins Gesicht,
und sie lauscht mit bekümmerndem Wimmern
in den Zimmern.
Ihre Augen beginnen zu schimmern, und sie spricht:

„Wie lang wollt ihr Ärzte, ihr lieben,
den Tod nur verschieben?
Wann setzt ihr euch endlich in Trab
und schafft ihn ab?

Der Tod ist ist so grausam und gründlich,
doch sicher überwindlich!
Aber ihr handelt verlogen mit Drogen,
der Tod selbst hat euch dazu erzogen,

wobei ich aber auch zugeben muß:
Wenn der Tod eines Tages nicht wär,
dann wär’s auch mit eurer Machtstellung Schluß,
denn dann bräuchte man euch ja nicht mehr!

Jawohl, der Tod hat für euch was kommodes,
nicht wahr? Der bringt euch immer was ein,
und darum seit ihr Ärzte auf der Seite des Todes,
sonst könnt dieser schrecklich willkürliche,
widernatürliche Tod längst nicht mehr sein!“

Da lächelt der Doktor, doch stockt er nicht
eine Sekunde. Er tanzt seine Runde
nach wie vor,
und zertritt in den Fußbodenritzen
ein paar Spritzen,
und dann presst er die Schwester und flüster ihr ins Ohr:

„Schau, dort kommt schon das Zimmer, wo wir beide immer
kampieren zwischen den Klistieren
und dem Jod...
Du siehst vorher so blaß und hysterisch aus,
doch nachher frisch und rot!
Ja, wir Ärzte sind auch für das Leben da,
und nicht ausschließlich für den Tod!"

Georg Kreisler

Montag, 26. Januar 2015

Barbara


Ich denke jeden Nachmittag an Barbara
Obwohl ich Niemand dieses Namens kenn
Und jede Nacht träum ich erneut von Barbara –
Ja, wenn ich nachts nicht träumen soll, wann denn?

Am Morgen unterhalt ich mich mit Barbara
Sie steht dann neben mir und kocht Kaffee
Die Reise zum Büro mach ich mit Barbara –
Ich hoffe, dass ich Barbara einmal seh'

Träume sind nicht Schäume
Sind nicht Schall und Rauch
Sondern unser Leben
So wie wache Stunden auch
Wirklichkeit heisst Spesen
Träume sind Ertrag
Träume sind uns sicher
Schwarz auf weiss
Wie Nacht auf Tag

Am Abend kehr' ich heim zu meiner Barbara
Sie wartet schon und freut sich sicherlich
Und geh' ich dann zu Bett, so weiß ich, Barbara
Liegt schon im Bett und wartet still auf mich

Manche geh'n ins Kino
Oder ins Café
Manche schließen Ehen
Und das Scheiden tut dann weh
Manche haben Kinder
Viele haben Streit
Manche sind erfolgreich
Und zu Träumen nicht bereit

Am einfachsten und billigsten ist Barbara
Sie isst nicht viel und nimmt nur wenig Raum
Ich wünsche allen Menschen eine Barbara
In Wirklichkeit – doch besser noch, im Traum


Georg Kreisler

Dienstag, 13. Januar 2015

Je ne suis pas Charlie

Französische Karikaturisten zeichnen gegen Pegida.
Die Abbildung stammt von Jean-Marc Couchet und
trägt den Titel "Récupération Fasciste" ("Vereinnahmung durch Rechtsextreme").

Folgende Zuschrift erreichte heute den Daten-Messie: 

„Na, das ist ja richtig losgegangen dieses Jahr. Unerfreuliche Ereignisse und unfassbare Reaktionen darauf. Das Netz, das Fernsehen, die Zeitungen und das Radio spucken nach solchen furchtbaren Morden ebenso furchtbaren Müll aus.

Ich dachte, ich informiere mich am gescheitesten durch die Aussagen des französischen Staatsanwaltes. Der aber scheint auch nicht immer bei den Sinnen zu sein – so erfuhr ich durch ihn, dass sich in einer Druckerei eine Geisel in einem Karton versteckt hatte.

Wenn die Attentäter von dem wirklich nicht zu beneidenden Mann im Karton nichts wussten, dann war es doch keine Geisel, oder?

Auch frage ich mich warum dieser Staatsanwalt folgende Details meinte der Öffentlichkeit mitteilen zu müssen: Die Ehefrau des einen Attentäters, der sich in der Druckerei verschanzt hatte, hat im Verlauf der letzten 24 Stunden 500 mal den anderen Geiselnehmer im koscheren Supermarkt angerufen. Was sagt mir das? Da dreht doch meine Phantasie durch.

Mir gefallen viele Details nicht. 

Die Geschichte mit dem Mann im Karton verfolgt mich. Er hat mit der Polizei telefoniert und sie über das, was er wusste und hörte, informiert. Wieso hört man nichts von dem? Ist er schon in therapeutischer Behandlung?“


Donnerstag, 1. Januar 2015

Endlich vorbei, das neue Jahr



Die schönsten Jahre sind die, wenn Heiligabend auf einen Freitag fällt. Der erste und zweite Weihnachtstag sind dann ein Samstag und ein Sonntag. Besonders schlimm war es in diesem Jahr: Heiligabend am Mittwoch, dann zwei Feiertage, eine kurze Oase der Normalität am Samstag und dann schon wieder ein Sonntag mit geschlossenen Geschäftszeiten. Elektronikmärkte, Tätowierstudios, Enthaarungsshops, Postämter, Solarien und Fitnessstudios waren geschlossen – fast nahtlos an drei Tagen. Eine besondere Belastung, über die die Wirtschaft einmal nachdenken sollte. Die Leute trinken und essen zu viel, streiten zu häufig, bewegen sich nicht mehr, müssen Geschenke umtauschen und erschlagen sich vor laufenden TV-Programmen. 

Rituale können gut sein und grüne Weihnachtsbäume schmücken macht Sinn. Bäume dafür abzuholzen aber weniger. Besser wäre es, wenn die Menschen in ländlichen Gegenden sich um die Weihnachtszeit direkt im Wald treffen würden, um ihre Tannen oder Fichten zu schmücken. Natürlich können sie dann auch gegen 19 Uhr gemeinsam christliche Lieder aus dem Abendland singen. In Großstädten hingegen sollten Parkanlagen extra dafür zu Verfügung gestellt werden. 

Die Knallerei an Silvester hingegen sollte mit Null-Toleranz geahndet werden. Stattdessen könnte man ja alternativ kollektives Topfschlagen oder Garagentor-Knallen verordnen. Böse Dämonen vertreibt man nicht durch bunte Fontänen sondern durch extremen Krach. 

Eine zukünftige Veganer-Woche kann man dann auch gleich für diese Woche terminieren (vielleicht noch zusätzlich mit einer verordneten Alkohol-Prohibitionszeit). 

Weihnachten, Silvester und Neujahr sind ohnehin für die meisten Leute zu belastend. Und man sollte sich für das neue Jahr nur Dinge vornehmen, die man auch einhalten kann. Zum Beispiel: mehr rauchen und sich weniger um die Familie kümmern (wie der Komiker Gernot Hassknecht meint).

In diesem Sinne wünscht der Daten-Mesie allen alles Gute, Wahre und Schöne für 2015


Montag, 29. Dezember 2014

das märchen von den fehlenden messerbänkchen

Nummeriert oder nicht nummeriert?

martin lagosse (er war damals klein & blieb auch so) war 1953/54 bei einem der ersten deutsch-französischen schüleraustausche nach dem 2. weltkrieg, mein austauschpartner. er war es, der zuerst in unserer familie in dusslingen vier wochen lang gast war. danach (oder im jahr danach) war ich gast in seiner familie in bordeaux. so ging das dann jahrelang, unsere beiden väter freundeten sich auch an, obwohl sie sich, wie sie feststellten, im ersten weltkrieg in den ardennen wahrscheinlich an der front gegenüberlagen. lange nachdem martin & ich keinen kontakt mehr hatten, standen unsere väter noch in kontakt, besuchten sich, tauschten briefmarken. martin & ich korrespondierten von 1955 bis 1961. alle seine briefe haben sich bei mir erhalten, meine an ihn hat er verloren.

es muss um 1961 gewesen sein, als sofi, meine damalige geliebte & ich martin in paris, wo er inzwischen mit seiner frau hélène wohnte, besuchten. wir verbrachten einen halben tag zusammen & sofi & ich fuhren schockiert über die spiessige lebensart der beiden wieder von dannen. danach gab es keinerlei kontakt mehr zwischen uns.

2014 fuhr sofi mit unserer enkelin fauzeya nach paris, weil fauzeya in der schule französisch hatte & sofi sie dabei etwas unterstützen wollte. in paris wollte sofi martin anrufen, hat es dann aber doch nicht getan. etwa eine woche nach ihrer rückkehr, erhielt ich eine email von martin (nach über 50 jahren!), er habe mich im netz entdeckt & hallo & soso & treffen müsste man sich mal wieder...

es ging wohl nicht anders: wir entschlossen uns, dass wir uns treffen. ende  november fuhren wir mit dem zug nach paris. martin holte uns am gare de l'est  ab. ich hatte vergessen, wie klein er war. er reichte mir grade bis zur schulter, dabei war er genauso alt wie ich: 75. sein etwas watschelnder gang & seine kleinen schritte in schuhgrösse 37 waren dieselben wie als 14jähriger. auffallend auch seine sprache. wir waren ja während unserer pubertät in kontakt, & ich erinnere mich noch sehr genau, dass in dieser zeit des stimmbruchs seine stimme von tief, immer wieder auf die kinderstimmbänder überschwappte, unvermittelt & vor allem wenn er aufgeregt war. dieses phänomen hat er auch als 75jähriger beibehalten. ob dies auch auf einen sonstigen pubertären zustand schliessen liess?

kurz: wir betraten sein super-appartement auf einer insel in der seine & der schock schlug sofort wieder zu! in der verspiegelten garderobe schuhe ausziehen. überall penibel geputzte glastische auf verspielten perserteppichen (die wir gar nicht mögen). ein paar fingerabdrücke auf dem toaster vermerkt martin kritisch hélène gegenüber. eine numerierte corbusierliege vor dem grossbildschirm (auf dem wir uns stundenlang bilder aus sri lanka & indien ansehen mussten). auf die nummerierung der liege wurden wir speziell auf der unteren seite des gestänges hingewiesen. wir mussten mit unseren fingern die eingestanzte nummer fühlen. chinesisches mobiliar. die wände voll mit bildern von picasso, dubuffet, dali... aber alle von martin persönlich kopiert! an einer wand eine peitsche & ein schwert. auch schwerter über dem türsturz. ein hoher topf mit spazierstöcken. mehrere mit bajonettartigen versteckten stahlspitzen. wallende & geraffte vorhänge wie im versailler schloss. 

deckenlüster aus murano. stühle im salle à manger von knoll. bücherregale bis an die decke, gefüllt mit 40 bänden zola, 25 bänden von dem, 15 bände von jenem, vergoldete rücken, nur beim einstellen ins regal einmal berührt. ich frage: wo steht die pornografie? & er deutet etwas verschämt nach ganz oben links. ich nehme die edelstahlleiter zum erreichen der bücher in den oberen regalen & stelle sie in richtung pornografie, steige hinauf & lese ein paar titel laut von den buchrücken ab. kurz danach stand die leiter wieder an ihrer ursprünglichen stelle! im badezimmer wird uns das komplizierte funktionieren der dusche erklärt: dies & das darf man auf keinen fall berühren, geschweige denn verstellen. goldener kamm, goldener handspiegel... (aber alles vergoldetes plastik). die halb aufgerollte zahnpastatube mir einer silbernen spezialklemme über dem aufgerollten teil. blumen überall. einzelne blüten, ganze bouquets, alle aus plastik im trockenen stehend. schon telefonisch hatte mir martin damit gedroht, dass das mittagessen nach unserer ankunft in der küche stattfände, das diner aber im salle à manger. das verhiess nichts gutes! aber die realisierung dieser ankündigung war das non-plus-ultra: auf dem damasttischtuch silbernes besteck, gläser wie orgelpfeifen, ausgedruckte tischkärtchen (für uns vier!) steckten in massiven silbernen quaderchen. eine ausgedruckte speisekarte verzeichnete penibel alle gänge. nur die messerbänkchen fehlten! ausgesuchte, von ihm nummerierte weine aus dem temperierten weinschrank. zum hauptgang ein 25 jahre alter bordeaux etc. etc . die speisekarte habe ich an mich genommen. sie liegt jetzt bei seinen briefen von 1955! - martin & hélène kamen ununterbrochen, wo wir auch sassen & führten ihren äusseren reichtum vor: eine schwere schale aus china, ein figürchen aus usbekistan, auf das schöne licht einer dali-kopie wies er mich in zwei tagen mindestens dreimal hin. die louvre-replik eins ägyptischen kopfes auf dem schrank, in dem sein deutsches bundesverdienstkreuz am bande exponiert lag, von speziellem spot angestrahlt. ein foto von de gaulle an büchern lehnend. eine vietnamesische teekanne aus koralle (wie sie sagten) war sicher aus einem anderen material. vier opulente fotoalben mussten wir überstehen, ausschliesslich gruppenfotos aus seinem berufsleben & von verleihungen. vitrinen voll mit gut abgestaubten memorabilia. wertvolles neben billigstem flughafenramsch. dazwischen auch ein gerahmtes foto von sofi & mir. in der fotogalerie seines computers bilder von meinen auftritten, die er aus dem netz herunterlud. hunderte fotos von sarkozys carla bruni, von der abendgarderobe bis zum nacktfoto. auch von angela merkel ein nacktfoto aus ihrer fdj-zeit!

eine sterilität sondergleichen, in der sich der gast wie im gefängnis fühlt, vergewaltigt von einer ausschliesslich oberflächlich materiell orientierten gesellschaft & ihren ritualen. die sterilität seltsamerweise unterbrochen durch hingebungsvolles teller ablecken im restaurant! es gab nie fragen von ihrer seite, was wir so machen, wie wir leben. nur eine frage von hélène an mich: wie oft musst du deinen bart schneiden?! - ich habe alles nur überstehen können, indem ich die situation schliesslich mit den augen eines verhaltensforschers oder anthropologen sah & aus rücksichtnahme auf sofi & ihre ebenfalls zweitägige leidenszeit. was war das für ein gegenentwurf ... zu unserem leben & zu dem, was uns beschäftigt!

als wir wieder zu hause ankamen, stieg sofi in die badewanne & murmelte vor sich hin: "martin abwaschen!"

mahmoud susu

Freitag, 19. Dezember 2014

Parole: Pagode

Happy Birthday A.B.B.

Der Daten-Messie erhielt heute folgende Zuschrift:

"Ich denke, man muss sich auf die weissen, nicht jüdischen und nicht islamischen Hetero-Europäer konzentrieren. Das ist die Zukunft. Neue kampfbereite Gruppierungen erscheinen bereits am Horizont – Gott sei Dank.

PAGODE
Peinlichen Anti-Europäern gebieten offensive Deutsche Einhalt


VEFADA / HEFADO / ZEVEDA / DEBUDU / LEBUDE / GEBADU / REVIDE / NEFADA / REBADI / FEBEDA 


Verängstigte Europäer für Aufstockung des Armeeetats

Hypochondrische Europäer fordern Ausrottung der Osteoporose

Zerstrittene Europäer verlangen Einsicht der Andersdenkenden

Dankbare Europäer bezahlen Unsummen den Umweltsündern

Liebenswerte Europäer belügen Unterhändler der Entwicklungsländer

Geile Europäer beschuldigen anhaltend die Unschuldigen

Reizende Europäer verbergen immer das Eigeninteresse

Nachhaltige Europäer für Erhalt der Atomindustrie

Reiche Europäer beklagen angsterfüllt die Inflation

Fortschrittliche Europäer befürworten Erhalt der Alpen." 

Montag, 15. Dezember 2014

P.rekäre E.uropäer g.efrieren i.n d.er A.rktis


Päderatische Egerländer gehen in den Airbus

Patienten europäischer Gemeinschaften initiieren das Alfabet

Pastor Engel gammelt in der Auslage

Peters Enkel geht in die Armee

Politiker essen gern in der Arbeitsamt-Kantine

Parasitäre Europäer gehören in die Anstalt

Persische Evangelisten gähnen in Dresdener Altstadt-Kneipen

Popanze einer großen Ideologie der Armut

Proletrarische Egomanen glauben in der Ambulanz

Prekäre Europäer gefrieren in der Arktis