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Montag, 11. November 2013

Kaminzimmer

Auch dabei, wenn Mynona nach Berlin zurück kehrt,
die intransitiven Philosophen: Prof. Hiroo Nakamura und Dr. Detlef Thiel

Die längst fällige Herausgabe seiner Schriften, Briefe und Nachlaßtexte hat  Gestalt angenommen. Zu entdecken ist ein Metaphysiker von ungeahnter Tiefe, ein Literatur- und Kulturkritiker von bestürzender Aktualität, ein unerschöpflich genialer Sprachmeister, ein Satiriker und Parodist vom Rang eines Lichtenberg oder Voltaire – der lachende Inszenator des „großen Immanuel Unbekannt”.
Friedlaender/Mynonas philosophischer Denkweg lässt sich in die Formel fassen: Von Schopenhauer und Nietzsche durch Ernst Marcus zu Kant – und über Kant hinaus. Nachhaltig geprägt durch den Altkantianer Marcus (1856-1928), weist er unermüdlich auf Kants Impulse hin: Gesetzesbegriff, Revolutionsprinzip und Vernunftreligion, Weltfrieden, Recht und Freiheit. Solche Forderungen der Vernunft sind aus dem Inneren der Person heraus zu kultivieren, aus der „schöpferischen Indifferenz”, dem „Heliozentrum” als absoluter Mitte zwischen allen Extremen. Das ist der praktische Zweck seines philosophischen Polarismus.

Im Lauf von 50 Jahren hat Friedlaender/Mynona ein umfangreiches und vielgestaltiges Werk geschaffen, das jenseits trivialer Trennungen von Philosophie und Literatur als ein „Vernunftgewitter” wirken sollte. Geboren 1871 in Gollantsch (Posen, heute Polen), studiert Friedlaender/Mynona Medizin, dann Philosophie in München, Berlin und Jena. Seit 1902 lebt er in Berlin. 1909 beginnt er unter dem Namen Mynona (Umkehrung von anonym) Grotesken zu veröffentlichen, die ihn im deutschen Sprachraum rasch bekannt machen. In diesen meisterhaft komponierten Zerrbildern, ebenso in Romanen und Novellen, Parodien und Gedichten will er die Erinnerung an „das göttlich geheimnisvolle Urbild des echten Lebens” auffrischen.

Sein philosophisches Werk umfasst neben der Dissertation (Jena 1902, bei Otto Liebmann) zwölf Bücher plus rund 200 Aufsätze und Rezensionen, in denen er sich scharfsinnig und hellsichtig mit den Zeitgenossen auseinandersetzt: Max Scheler, Ernst Bloch, Henri Bergson, Walther Rathenau, Hugo Ball, Albert Einstein, Oswald Spengler, Samuel Lublinski, Ernst Barthel, Jean-Paul Sartre ...
Jedoch konnte Friedlaender/Mynona dem „Ring der Knebelungen”, der sich in der späten Weimarer Republik um ihn schloss, nicht entrinnen. 1933 emigriert er nach Paris, dort stirbt er 1946 in extremer Armut. Die meisten seiner insgesamt 40 Bücher wurden nicht mehr aufgelegt, seine kleineren Texte und seine politischen Stellungnahmen niemals vollständig gesammelt. Über Inhalt und Umfang seines Nachlasses und seines Briefwechsels existierten bestenfalls Legenden. So ist bis heute nicht deutlich geworden, daß er ein aktives Ferment in den Gärungsphasen zahlreicher Diskurse bildete, die mittlerweile oft so bekannt scheinen, daß man es nicht mehr für nötig hält, nachzuforschen, wie sie sich entwickelt haben und von wem sie ausgingen.

Friedlaender gehört zur ersten Generation der Nietzscheaner. Er korrespondiert mit „der stadtbekannten Schwester des weltbekannten Bruders”; Georg Simmel fördert sein Nietzsche-Buch von 1911. Mit Marcus engagiert sich Friedlaender/Mynona in den Debatten um Kant und Einstein; er verteidigt Goethes Farbenlehre, schreibt die ersten Monographien über George Grosz und Remarque und legt den philosophischen Grundstein des Dadaismus. Er übt Kritik an Freud, gibt dem Psychologen Fritz Perls die Basis für seine Gestalttherapie, arbeitet zusammen mit Alfred Kubin, seinem langjährigen Briefpartner. Er war befreundet und bekannt mit Autoren wie Paul Scheerbart, Else Lasker-Schüler, Georg Simmel, Kurt Hiller, Martin Buber,Walter Benjamin, Karl Kraus und Joseph Roth, mit Künstlern wie Raoul Hausmann, Hannah Höch, Kurt Schwitters, Arthur Segal und Ludwig Meidner. Bereits seit 1920 führt er einen erbitterten Kampf gegen den heraufziehenden Nationalsozialismus. Im Pariser Exil kann er unter widrigsten Umständen mehrere philosophische Werke abschließen, darunter die kantisch-kritische Revision seiner Schöpferischen Indifferenz von 1918 – Das magische Ich.

(Hartmut Geerken & Detlef Thiel)

Veranstaltung: Mynona/Salomo Friedlaender: Dichter, Parodist, Erzähler und Philosoph

Im Gespräch mit Mechthild Rausch stellen Hartmut Geerken und Detlef Thiel Mynona und sein Werk vor.

Literaturhaus Berlin, Freitag 15. November, 20 Uhr / Kaminzimmer

http://www.literaturhaus-berlin.de/unten/programm/langversion/15_nov.html

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