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Freitag, 10. August 2012

Den Chinesen ist doch alles egal!

Valeska Gert (Foto von Herbert Tobias
aus der Sammlung von Wolfgang Müller)

Ein gelber Benachrichtigungsschein der DHL lag im Briefkasten: »Ihre Post befindet sich in der Manteuffelstr. 99«. Ich holte sie ab im »Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf«, dessen Inhaber im Jahr 1988 mit hundert anderen über die Mauer stieg, vom besetzten Kreuzberger Kubat-Dreieck aus, und ergänzte im Anschluß das Manuskript meines noch in diesem Jahr erscheinenden Buches »Subkultur Westberlin 1979 – 1989/Freizeit« um einen letzten O-Ton.

Meine Büchersendung im Regal des Gemischtwarenladens war gewaltig. Da meine Wohnung klein ist, kaufe ich keine allzu großen Bücher, habe regelrechte Angst vor Coffee-Tablebooks. Nicht selten lenkt ja der Umfang vom dünnen Inhalt ab. Mit Schaudern erinnerte ich mich an Jörg Immendorffs illustrierte Bild-Bibel, die von Bild- bis taz-Kunstexperten hochgeschätzt wurde und heute bei Joker’s für 3,99 Euro zu haben ist.

Das Paket enthielt eine dicke Schwarte mit roten Noppen. Die Typographie auf dem Cover sollte an Noten erinnern: »A house full of music« hieß dieser Ausstellungskatalog des Instituts Mathildenhöhe Darmstadt. Haus voller Musik? Vage erinnerte ich mich an eine Mail, in der eine Assistentin des Instituts mich um ein Gratis­exemplar meines Buchs »Valeska Gert. Ästhetik der Präsenzen« gebeten hatte, »für Forschungszwecke«. Leider mußte ich ihre Bitte abschlagen, da ich keine Exemplare mehr besitze.

Beim Durchblättern der bunten Seiten – 468 Bilder für 49,90 Euro – stieß ich auf ein vertrautes Foto, das Valeska Gert zeigt. »Pause« ist sein Titel. Käte Rupp hat es 1919 gemacht. Erstmals wurde es 1928 publiziert, in einer umfassenden Gert-Abhandlung von Frank Hildenbrandt. Dem Darmstädter Katalog war nun neben einer ganzseitigen Abbildung der »Pause« zu entnehmen, daß diese kein eigenständiger Tanz, sondern eine Sequenz in »Canaille« gewesen sei. »Canaille« sind vier durchnummerierte Fotosequenzen in Hildebrandts Buch betitelt. »Pause« ist nicht unter diesen Fotos, sondern wie andere Tanzfotos einzeln abgebildet. Eine Quellenangabe, mit der sich die Sequenzthese nachvollziehen ließe, suchte ich im Katalog vergeblich. Überlegungen des Verfassers zur Pause als Tanzsequenz und technischem Element waren nicht auf seinem Mist gewachsen, auch wenn er den Anschein zu erwecken versuchte. Er konstruierte Konflikte zwischen Forschungsansätzen, spielte damit seine unterschlagenen Quellen gegeneinander aus, vermischte dokumentarhistorische Ebene mit ästhetischer Interpretation – dem Vermächtnis der lange auf Kabarett und schrille Tänze wie »Canaille« reduzierten Valeska Gert, die leider 1978 verstorben ist, erweist man so eher Bärendienste.

»A house full of music« hat repräsentativen Charakter. Geld war offensichtlich vorhanden. Betont wird, daß alles unter großem Zeitdruck organisiert wurde. Pause. Die Auswahl der Künstler orientiert sich am Kanon. Dazu kommen Newcomer wie Gregor Hildebrandt. Der klebt Tonband an Tonband sauber auf Leinwände. Auf diese Weise verbindet er nach Ansicht der Kuratoren offenbar sehr direkt Musik und Kunst. Die Ergebnisse zieren sehr geschmackvoll die Wände. Fleißig wiederholt er seine Ausführungen. So schafft er ein Kunstmarkenprodukt, das bedeutungsschwanger und verkäuflich ist. Schwer beeindruckt assoziierte Kunstkritikerin Christiane Meixner 2009 im Tagesspiegel: »Tausend Meter Kassettenband. Die im Kunstwerk konservierte Musik setzt sofort Phantasien frei. Jeder hört sein eigenes Lied.«

Bevor die neo-individualliberale Phantasie auch mit mir durchgeht, wende ich mich dem Vorwort des Wälzers zu, in welchem der Anspruch bekräftigt wird, Kunst und Musik endlich »gleichberechtigt« zu präsentieren. Als Beispiel dient Christoph Schlingensiefs »Operndorf in Afrika«. Diesem wird die vollendete Verschmelzung zwischen »Kunst und Leben« attestiert. Zur Unterfütterung wird das populäre Mißverständnis von ­Joseph Beuys als dem großen Verschmelzungskünstler bemüht – dabei besteht dessen eigentliche Leistung darin, die jeweiligen Grenzziehungen überhaupt wahrnehmbar gemacht zu haben. Es ist zu vermuten, daß Beuys’ Forderung nach »Erhöhung der Berliner Mauer um 5 cm (bessere Proportion!)« aus dem Jahr 1964 in mancher Akademie bis heute falsch verstanden wird. Empört drohte damals das nordrhein-westfälische Kultusministerium dem Professor mit Disziplinarmaßnahmen.

Die weiße Kolonialphantasie, die Regisseur Werner Herzog und sein Darsteller Klaus Kinski 1982 als Opernfanatiker im südamerikanischen Regenwald mit »Fitzcarraldo« thematisierten, wiederholte Aktionskünstler Schlingensief 30 Jahre später zunächst in Südamerika, dann in Afrika. Für die Aktion »Spitzenköche für Afrika« kocht inzwischen auch DB-»Punkrocker-Koch« Stefan Marquard ein Benefiz-Süppchen. Die Mission der neuen, aufgeklärt-christlichen Eroberer gilt nicht mehr einem »Zivilisierungsauftrag« – die segensreiche Hochkultur eilt heute im Gewande der Reparationsleistung für die gescheiterten »Kultivierungsversuche« der kolonialen Vergangenheit herbei: Mit integrierter Schule im Opernhaus in einem der ärmsten Länder der Welt – oder auch mit »Mädchenschulen« in Afghanistan.

Kommt bei dieser ganzen Charity-Kulturindustrie letztlich nicht vor allem elender, neokolonialer Erlösungskitsch heraus – rein künstlerisch betrachtet? Wo ist hier eigentlich die Kunst, wo die Musik? Warum fehlt Wolfgang Niedecken von BAP im exklusiven »Haus der Musik«? Immerhin denkt der Rockmusiker auch äußerst wohlwollend von »uns«, beziehungsweise von sich: »Die Europäer versuchen in Afrika, Korruption auszuschalten und nur mit Staaten zusammenzuarbeiten, in denen die Menschenrechte zumindest in einem gewissen Standard vorhanden sind. Den Chinesen ist das alles vollkommen egal, Hauptsache, sie kommen an die Rohstoffe.« (Handelsblatt, 20. Juli 2012).

Apropos Rohstoffe. Modeschöpfer Karl Lagerfeld hat das Erscheinen eines dünnen, aber inhaltlich unglaublich reichen, frischen Büchleins der Autorin Valeska Gert in seiner L.S.D.-Buchreihe ankündigt. Im Jahr 1950 in Gerts Selbstverlag erschienen, war es lange nur antiquarisch erhältlich: »Die Bettlerbar von New York« – voller großartiger Ideen und Konzepte, verfaßt in Gerts wunderschöner klarer Sprache! In der Verlagsankündigung erwähnt Karl Lagerfeld die »Pause« als herausragendes und eigenständiges Tanzelement dieser von den Tanz-, Musik- und Kunstakademien bis in die jüngste Gegenwart übersehenen Künstlerin. Sein Gert-Buch zeigt, daß er zu schätzen weiß, wieviel Substanz ihre Künste für die Gegenwart bereithalten. Karl Lagerfeld schenkt Valeska Gert ein schönes, maßgeschneidertes Kleid.

Wolfgang Müller

http://www.jungewelt.de/2012/08-04/015.php

3 Kommentare:

  1. Karl Lagerfelds L.S.D-Buchreihe? Wo erfahre ich mehr darüber? wolfrosenthal@web.de

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    1. Wolfgang Müller30. August 2012 um 19:54

      Hier mehr überden L.S.D. Verlag: http://www.steidl.de/index.php/de/news.html?id=25&limitOffset=15

      Das Buch von Valeska Gert erscheint dort im September 2012

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    2. Prima, vielen Dank ! Wolf

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