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Donnerstag, 14. Januar 2016

Tatortskizze für einen Roman...

Visuelles Gedicht von Cristian Forte

Cuadro de situación para una novela
dedicada a un agente editorial

                                               
                                                                                                            a Pablo Katchadjian


escribo vestido de escritor

– vestido -
croto y fresa                a la vez
veo
y en
todo lugar encuentro
            un lugar del crimen

esta obra de arte promete actuar contra
la criminalidad vacilando a la industria de editores,
pero la criminalidad
es su desarrollo económico, porque el desarrollo
económico
no es ya otra cosa que criminalidad

estas palabras no son mías
estas palabras me fueron dadas por fuerzas
aéreas

también amplifico altura de hojas,
(a partir de ahora hablaré solo
para mis traductorxs)

al desvestirme
EMBISTO AL COMPLETO HUÉSPED
DEL OTRO
que sale de mi ropa
y se queda sin ganas
saltando a mi lado
de un otro al lado

„ hermano,  si tengo un hijo vos vas a ser el padrino
y además, ando con una idea fija. Voy a comprar tierras
en Catamarca. Tengo plata. Vos vas a ser el padrino de
mi hijo y después vamos a crear una secta. “

Estos son los cuatro
estados de la Materia:


1 – peronismo de derecha
2 – peronismo de izquierda
3 – peronismo de centro
4 – peronismo este



yo dormí durante un año
en una carpa
            en el jardín de una familia
australiana – ajeno
yo aprendí a cocinar ahí en
microondas – y en las noches
 escribía emails a mi hija
 en india – y
en mi país me decían todavía:
Sergio
me recordaban a lo ajeno
yo, hijo de Ramón Nonato

yo manejaba un bus de chicos
discapacitados en Kings Cross

y cuando tenía cerca el camión de la basura
 sentía que los dos tíos podían venir a levantarme
 para dejarme adentro del cono metálico

luego escribia en mi cuaderno:

„el sol es un físicoculturista“

soy un imbécil
soy un imbécil
soy un imbécil
pero en su gesto
                                                 un final posible:

 - mis sentimientos corren a la velocidad
de un paisaje marino -

este arte es estar
simulando un oficio
que me da  ganas

un mundo gestual que da  la vida y un mundo
material que lo manifiesta -


---       

Cristian Forte

Ago. 2015 Berlin           



Tatortskizze für einen Roman, einem Verlagsagenten gewidmet.

                                                                                                für Pablo Katchadjian


ich schreibe gekleidet als Schriftsteller

– gekleidet –
clochardhaft und glamourös  zugleich
ich sehe
und finde
an jedem Ort den
            Tatort eines Verbrechens

dieses Kunstwertk verspricht vorzugehen gegen
kriminelle Machenschaften, indem es der Verlagsindustrie spottet,
doch die kriminellen Machenschaften
sind längst ihre wirtschaftliche Entwicklung geworden, denn die wirtschaftliche
Entwicklung
ist ja nichts anderes mehr als kriminell

diese Worte stammen nicht von mir
diese Worte kamen zu mir durch die Luft
Waffe

zusätzlich verstärke ich die Höhe der Blätter,
(von jetzt an spreche ich nur noch
für meine Übersetzer)

während ich mich entkleide
ERSTÜRME ICH DEN VOLLENDETEN GAST
DES ANDEREN
der meinen Kleidern entsteigt
und ohne Lust/Gewinn
neben mir springt
von einer anderen zur Seite

„Wenn ich ein Kind bekomme, wirst du, mein Bruder, der Pate und außerdem habe ich einen festen Plan. Ich werde Land kaufen in Catamarca. Ich habe Geld. Du wirst der Pate meines Kindes und danach gründen wir eine Sekte.“

Dies sind die vier
Stadien der Materie:

1.    Peronismus der Rechten
2.    Peronismus der Linken
3.    Peronismus der Mitte
4.    Östlicher Peronismus

Ich habe ein Jahr lang
in einem Zelt geschlafen
            im Garten einer australischen Familie
australisch – als Fremder
ich lernte dort in einer Mikrowelle
zu kochen – und nachts schrieb ich E-Mails an meine Tochter
in Indien – und
in meinem Land nannte man mich noch immer:
Sergio
man erinnerte mich an das Fremde
ich, Sohn des ungeborenen Heiligen Ramón Nonato

ich lenkte einen Bus voller
behinderter Kinder in Kings Cross

und wenn sich der Laster der Müllabfuhr näherte,
hatte ich das Gefühl, die beiden Typen könnten mich nehmen
und ins Innere des metallenen Zylinders befördern

daraufhin schrieb ich in mein Heft:

„die Sonne ist ein Bodybuilder“

ich bin ein Dummkopf
ich bin ein Dummkopf
ich bin ein Dummkopf
aber in seiner Geste
                                    ein mögliches Ende:

– meine Gefühle laufen in der Geschwindigkeit
einer Meereslandschaft –

diese Kunst besteht darin,
ein Gewerbe vorzutäuschen
das mir Lust/Gewinn verschafft

eine Gebärdenwelt, die Leben spendet und eine materielle
Welt, die sie darstellt –


---
Cristian Forte

August 2015 Berlin

Übersetzung: Christiane Quandt

Blog von Cristian Forte

Sonntag, 3. Januar 2016

vom ‚accidental shooting‘ zum ‚lohnhobeln‘

Famoudou Don Moye

in der zeit zwischen weihnachten & neujahr 2015/16 waren mein freund & mitmusiker famoudou don moye, perkussionist des ‚art ensemble of chicago‘, & seine frau dominique germain bei uns in wartaweil. während dieser tage fuhren wir mit dem zug nach bad staffelstein. warum ausgerechnet nach bad staffelstein? dazu folgende geschichte: moyes vater trat nach ende des zweiten weltkriegs als 22jähriger in die amerikanische armee ein & wurde mit der 3511th quartermaster truck company, bestehend aus unbewaffneten afro-amerikanern nach dachau geschickt. dort kamen sie in kontakt mit zwei sehr abgemagerten polnischen kz-insassen, nahmen diese bei sich auf (was natürlich in der amerikanischen armee illegal war) & päppelten sie auf. die beiden, salomon & peewee genannt, waren schliesslich wie freunde dieser schwarzen soldaten & blieben über ein jahr bei ihnen. von dachau wurde die kompanie nach bad staffelstein versetzt. die schwarzen soldaten wurden allgemein viel schlechter behandelt als die weissen. sie hatten ihre eigenen, primitiveren camps & ihr essen war wesentlich schlechter als das der weissen soldaten. nach kriegsende waren nahrungsmittel nicht nur für die deutsche bevölkerung knapp, sondern auch für die soldaten, besonders für die schwarzen. die situation eskalierte eines tages, es war der 27. mai 1946, die schwarzen revoltierten & traten in einen hungerstreik. was genau geschah, weiss man bis heute nicht, aber am ende soll es hundert verletzte & vierzig tote soldaten gegeben haben. die militärpolizei erschoss die eigenen soldaten, wahrscheinlich wegen widerstands gegen die staatsgewalt. einer der toten war moyes vater. er wurde im alter von 23 jahren nach ende des 2. weltkrieges in bad staffelstein erschossen, als sein sohn grade drei tage alt war! - in bad staffelstein fanden wir dank der rührigen museumsdirektorin & archivarin heidi waschka ein fotoalbum & einen ordner mit unterlagen zu dieser quartermaster truck company. sie erinnerte sich, dass sie vor acht jahren auf dem dachboden des museums einen ordner mit der rückenbeschriftung ‚amerikanische besatzung 1946‘ gesehen hatte. diesen ordner konnte sie zwischen vielen anderen materialien von zuunterst herausfinden. in dem monatsbericht des kommandanten dieser truck company an die vorgesetzte behörde war nach diesem riot nichts verzeichnet von einem aufruhr, sondern es war sogar unnötigerweise erwähnt, dass von keinem nennenswerten vorkommnis zu berichten sei. dummerweise lag aber kurz nach diesem riot in den amerikanischen akten die rechnung des säge- & hobelwerks gebrüder rupp im nachbarort lichtenfels über das ‚lohnhobeln‘ von 279 qm brettern, adressiert an die 3511th quartermaster company. wofür hätte diese menge bretter sonst dienen sollen als für särge? – in der todesmitteilung des headquarters an die witwe wurde als grund für das ableben ihres mannes ‚accidental shooting‘ genannt! -  wir fanden bei unserem besuch in bad staffelstein mit hilfe von frau waschka auch den platz, wo die schwarzen soldaten gecampt haben. das war hinter dem ‚teibhaus‘, einer stillgelegten wirtschaft. dort habe ich mit einem suppenlöffel unserer dortigen ferienwohnung ein minigrab gegraben, wobei eine zum winterschlaf verkapselte helix pomatia zum vorschein kam, die ich vorsichtig beiseite legte. moye legte erst einen flachen stein in die grube, dann einen seiner metallarmreifen mit einer karte & seinem foto. daneben positionierte ich die weinbergschnecke, gewissermassen als wächter. dann bedeckten wir alles wieder mit erde & laub. dominique stellte eine brennende kerze auf, sigi steckte eine vogelfeder neben die kerze & ich legte einen zweig mit leuchtend gelben(!) beeren auf das ‚grab‘. zum schluss zog ich zur überraschung aller noch ein piccologläschchen aus der tasche & begoss die stelle mit sekt. vom rest hat jeder von uns noch einen schluck abbekommen.

hartmut geerken



Freitag, 1. Januar 2016

Büsum


  1. Das Hotel Dorn in der Deichstraße, unsere Unterkunft. Sehr zu empfehlen. Freundliches und witziges Personal, angenehme Saunalandschaft, gute Preise. Das Hotel hat zwar nur einen Dreisterne-Status, ist aber besser als viele Viersterne-Hotels.
  2. Die Fußgängerzone war immer voll. Der Wellensteyn-Laden sogar bis zum frühen Abend am 31. geöffnet - und immer gut besucht. Wellensteyn = Spießer-Outdoorbekleidung. 
  3. Den Altersdurchschnitt der Besucher schätze ich hier auf 62 Jahre. Männer mit bunten Wollstirnbändern und Kurzhaarfrisuren. Junge Leute, Fehlanzeige.
  4. Karohemden beim Frühstücksbüffet im Hotel Dorn.
  5. Irgendwie sex- und geschlechtslos diese Seniorenpaare. Die sind alle irgendwie so abgeklärt, tragen Kaschmirmützen und Perlenketten, machen Joga und Atemtherapien und sagen sicher oft: "Sex ist nicht das Wichtigste im Leben." Da irren Sie sich: Sex ist das Wichtigste...
  6. Die Deichanlagen eignen sich für Rollstuhl-Rallyes. Das wäre doch eine schöne Werbung für den Ort: Erstes norddeutsches Rollstuhl-Rennen in Büsum.
  7. Eine Ausstellung im Kurmittelhaus. Angeschwemmtes Strandholz wird zur "Skulptur" erklärt - ohne montierten Sextanten für 280 Euro, mit Sextanten und Handschrift "Carpe diem" für 680 Euro. Tafelbilder von 3 Metern Länge hingegen kosten nur 280 Euro.
  8. Eine Brandung existiert nicht. Vereinzelt Wattwanderer.
  9. Das Lokal "Moin Moin". Großartig. Der Laden wird von den Angestellten geschmissen, der Chef kommt nur alle paar Tage vorbei, um die Einnahmen abzuholen. Seele des Ladens ist Sarah, eine Engländerin oder Irin, die mir ihren Namen sagt mit dem Hinweis, das er zu  kompliziert sei. Er ist wirklich zu kompliziert, klingt französisch, gälisch oder druidisch.
  10. Silvestermenü in einem Steakhaus. Grauenhaft. Wir sitzen an der Theke, weil wir nicht an einem Tisch mit einem bieder aussehenden Ehepaar mit Kind gesetzt werden wollen. Nein, keine Kommunikation. Der Chef ist ganz witzig und meint, ich könnte auf der Behindertentoilette rauchen. Draußen sehe ich die Buchstabenkette "Appartm nts". Ein p hängt schief. Ich denke daran, R.M. ein Foto davon mit der Nachricht zu senden: "Willst du nicht einmal die App artm nts schreiben", finde diese Idee aber dann doch ziemlich doof.
  11. Im Steakhaus warten wir eine Stunde auf zähes Fleisch, winzigen Kartoffeln und grünen Bohnen. Am Ende zahle ich für den Mist 88 Euro. 
  12. Dialog im Steakhaus mit dem Chef: Hat es denn geschmeckt? Nein. - Warum nicht? Das Fleisch war zäh. - Das kann gar nicht sein. Ich habe vorhin selbst zwei Stück von dem Kalb gegessen. Das glaube ich nicht. Das kann Ihnen gar nicht geschmeckt haben. 
  13. Am Abend schaue ich mehrere Folgen der australischen Serie "The Code" auf ARTE. Ob es 2015 oder 2016 ist, ist mir scheißegal. Im Hotel sehen wir aus unseren Zimmern auf das Feuerwerk. Es dauert nicht lange.
  14. Am Morgen im Frühstücksraum. Karohemden sagen serienmäßig "Frohes Neues". Ich antworte standardmäßig mit "Mahlzeit".  

Sonntag, 27. Dezember 2015

Kontaktanzeigen "Die Zeit" (2004)



1


Hier begegnet Ihnen ein wahrhaft außergewöhnlich interessanter Mann, 57/188, mit gepflegtem Äußeren u. fabelhaftem Auftreten; eine Energie entwickelnde Führungspersönlichkeit u. Inhaber mehrerer Firmen; beruflich wie privat weltweit gereist - China, Italien, die USA … die Côte d´ Azur (eig. Traumhaus); er begeistert sich für die Kultur u. Geschichte der Bretagne, europäische Werte … Aktivitäten wie Ski fahren, Hochseesegeln oder Reiten. Neben aller Dynamik schätzt er die Zurückgezogenheit bei einem guten Buch oder beim Klavierspielen (die Bayreuther Festspiele sind ein fester Bestandteil seines Lebens); fühlt sich angesprochen von Kunst, die Leben u. innere Kraft ausstrahlt. Es erwartet Sie ein großzügiger Gentleman - liebevoll, aber auch sensibel, der als Ästhet alles Schöne liebt u. sich nach einer charmanten Frau mit inneren Werten, Klugheit u. Weltoffenheit sehnt, die einfühlsam u. zärtlich ist, wie er. Partnerschaft & Liebe bedeuten für ihn ein Geben u. Nehmen von Wärme u. Gefühlen u. vor allem Treue. 

2

Mitte 50, über 1.80 m – weltbekannt durch seine Spitzenprodukte leitet er sein Imperium ... Ein sehr gut aussehender, charmanter Mann mit Charisma, Stil und Klasse ... in der Verantwortung für 1000de von Arbeitsplätzen ist er der hochgeschätzte Vorgesetzte, bekannt für Gerechtigkeit, soziale Einstellung sowie Hilfsbereitschaft. Großzügig im Denken und Handeln – ist er der Mann, bei dem keine Wünsche offen bleiben. Ob auf seinem Traumanwesen mit Park, in seinem Haus am Meer ... er wird IHNEN die Welt zu Füßen legen. Sind Sie die herzliche, intelligente, weltgewandte Frau - sportlich, kunst- u. kulturell interessiert, ebenfalls mit bestem Background, dann sollten Sie Ihrem Glück jetzt eine Chance geben! Er ist der Mann mit dem Sie genussvoll leben und viel lachen können! Aus Diskretionsgründen dürfen wir an dieser Stelle nicht mehr über diesen interessanten Mann bekannt geben, bitte rufen Sie an! 

3

Als Geschäftsfrau (Akademikerin) trägt sie Verantwortung für ihr eigenes Unternehmen u. zahlreichen Mitarbeitern u. beeindruckt mit liebenswert-verbindlichem Auftreten ebenso wie mit sicherem Verhandlungsgeschick auf internationaler Ebene. Privat überrascht sie eine heitere, gelassene junge Frau mit Werten… umgänglich, erdverbunden, harmonisch sowie sinnlich u. gefühlsbetont mit großer Liebe zur Natur (Jagdbegleiterin) u. ländliches Leben der Großstadthektik vorziehend. Gespräche mit Tiefgang geben ihr mehr als jeder Small Talk, dennoch macht sie auf jedem Parkett eine phantastische Figur, liebt es, ganz Frau zu sein, die Aufmerksamkeit u. Fürsorge eines Kavaliers genießend. Ein solcher Gentleman – gebildet, erfolgreich, kultiviert (und ebenfalls in allerbesten finanz. Verhältnissen lebend)… mit Herzenswärme u. Humor, wobei sein Alter eine untergeordnete Rolle spielt, kann der ideale Partner sein für eine Zukunft, in der alles möglich ist, wovon beide träumen… 

4

Eine Frau, die die Blicke auf sich zieht – auf die Sie stolz sein werden! Mit ihrer langen lockigen kastanienbraunen Haarmähne, ihren großen warmen braunen Augen u. ihrer verführerischen weiblichen Figur verkörpert sie den rassigen romantischen Frauentyp – eine Symbiose aus Natürlichkeit, Eleganz u. Sexappeal… voller Temperament u. Zärtlichkeit, mit bezauberndem Lachen u. unwiderstehlichem Charme; bester akademischer wirtschaftlicher Background, Wirtschaftswissenschaftlerin, mit guter Intuition, Kreativität, Weitblick, kosmopolitischem Geist u. gebildeter Lebens art; Beruf u. Privatleben optimal verbindend - ist sie die sinnliche Frau, die Sie entflammt! Kult. Events (Bayreuther Festspiele), aktuelle Kunstausstellungen, Literatur, sportl. Aktivitäten, auch Golfen haben für sie einen hohen Stellenwert. Mit einem kultivierten Mann, trotz einiger Stürme ungebrochen, möchte sie den Tag gestalten u. die Nacht erleben, wo immer Er Zuhause ist. 

Samstag, 12. Dezember 2015

Das Leben ist eines der härtesten das existiert


Das Leben ist eines der härtesten das existiert


(Ein FAFI-Dialog)

Personen:                                Klaus Kleber, Anchorman, ZDF
                                                Franz Beckenbauer 
                                                oder bloss Herr Franz
                                                oder Der Kaiser
                                                oder so

(Die Beiden sprechen am Telefon. Vorgespräch)


B:        Ja hier Beckenbauer.

K:        Guten Tag Herr Beckenbauer ! Ich bin Klaus Kleber vom ZDF !

B:        Na servus Herr Kläber !
            Das ist aber schön mit Ihnen zu reden.

K:        Das finde ich auch, Herr Beckenbauer.

B:        Ach so ein Schmarren ! Lassen Sie den Herrn doch weg !
            Ich bin der Franz ! Bin doch kein Herr.

K:        Herr Franz...

B:        ... Sie können mir auch Der Kaiser sagen oder Lichtgestalt,
            obschon ich dieses Wort nicht so mag. Weil ich bin ja nicht so
            gern im Licht, obschon andere anderes behaupten und dem
            muss ich schon hier beim Vorgespräch aufs Entschiedenste entgegenäussern.

K:        Sie meinen, Sie sind keine Lichtgestalt des deutschen Fussballs ?

B:        Naja, wenn Sie mich so direkt fragen, also hier bei uns in Bayern, da
            sprechen mich die Leute schon auf der Strasse an mit „Herr Lichtgestalt“.

K:        Das ist schön.

B:        Ich stehe ja nicht so gern im Licht, hab ich zwar schon gesagt,  aber
            doppelt gemalt...

K:        ...Doppelt genäht hält besser.

B:        Jaja, genau !
            Sie sind halt in der deutschen Sprache schon bewandert.
            Kann man „bewandert“ sagen ?

K:        Natürlich. Ich wandere immer gern, wenn ich Zeit hab.

B:        Aber kommens eh selten dazu, gäll, das kenn i.
            Die Zeit, man hat sie ja gar nicht, weil sie so schnell ist und wenn man denkt, jetzt hab ich so 30 Sekunden Zeit, schon ruft so ein Schurnalist an und will mein Stätment.

K:        Zu was ?

B:        Mein Stätment zu was ?

K:        Zur aktuellen Entwickung in der FAFI ?...

B:        Ach immer diese Fragen dabei ist es doch ganz klar.

K:        Was ist klar ?

B:        Dass das Leben eines der härtesten ist, das existiert !

K:        Aehh... Und weiter ?...

B:        Na i wois nix. Das steht fest. Ich glaub eben an mich, so ist das halt.
            Und dann sollten es die anderen auch tun. Ich bin doch Der Kaiser oder  auch Herr Franz oder auch...

K:        Sehr schön, Herr Franz.
            Nun, diese täglichen Enthüllungen um den Fussballsport und auch um
            Ihr Schweigen, das Sie meisterhaft beherrschen...

B:        Na so ist das nicht. Ich sage schon, was ich denke, aber ich bin meistens
            still.

K:        Ich versuche es mal auf einer anderen Ebene.
            Sie sind doch den Bayern verbunden.

B:        „Verbunden“ – was ist das denn für ein Wort, Herr Kläber !
            Ich bin der FC Bayern.
            Vielleicht noch der Uli, wenn er grad da ist und vielleicht noch der
            Pepsi.

K:        Wer ist Pepsi ?

B:        Der Pep natürlich ! Die Gardiole !
            Naja das ist sein Niknäm – sonst verwechsle ich ihn mit Coca
            (Lacht herzlich)

K:        Ach so.

B:        Aber kommen wir auf den Punkt, Herr Kläger.

K:        Ja !

B:        Ich kann Ihnen und dem deutschen Volke versichern und ich gebe Ihnen
            mein Ehrenwort – ich wiederhole – mein Ehrenwort, dass ich von nichts
            weiss, nichts gewusst habe, nie etwas wissen werde, total unwissend bin.

K:        Herr Franz – wo befinden Sie sich gerade ?

B:        Na, wo wohl – in der Badewanne in einem Hotel in der Schweiz.

K:        Ganz alleine ?

B:        Schon. Ich spiele halt ein bisschen.

K:        Sie spielen in der Badewanne ?

B:        Aber schon. Denken Sie, ich sei dazu unfähig ?

K:        Was spielen Sie denn ?

B:        Was man halt so spielt allein der Badewanne mit viel Schaum...

K:        Sie rekonstruieren Ihr letztes finales Freistosstor nach ?...

B:        Jo mei, so kann man das auch sagen.
            Aber warum sind Sie immer so ernsthaft, Herr Kläber ?

K:        Das ist mein Beruf.

B:        Kommen Sie doch zur FAFI. Wir könnten Sie gut gebrauchen.
            Also wenn ich dran denke, was für eine Gaudi das immer ist in
            Zürich oder New York mit meinen Freunden.
            Luxuslimousinen vor dem Baur au Lac... Frauen...
            das sind Freundschaften auf Lebenszeit, Herr Kläber.

K:        Haben Sie, Herr Franz, noch Freunde von früher, als Sie noch für den
            BVB spielten ?

B:        WAS ?!
            Was sagen Sie da ? Gott ! BVB ?!...
            Ich krieg ein Härzkaschperl !
            BVB !
            Sie Unhold !
            Sie Profokation !
            Ich habe nie !.... NIE !...

(Herr Franz taucht langsam unter.
Ja, sein Verdacht hat ihn nicht getäuscht: Ein Härzkaschperl ists.
Und weisser, milder Schaum bedeckt sein kaiserliches Angesicht.
Er ruft zum letzten Mal nach „Seppli“.
Aber der ist auf dem Matterhorn.)
                 

*


Ende


Fritz Sauter

Mittwoch, 2. Dezember 2015

Ruth Sackner

Ruth & Marvin Sackner

Anfang der 1990er Jahre lag in meinem wackeligen Briefkasten im zweiten Hinterhof in der Urbanstraße in Berlin-Kreuzberg ein Brief mit gedruckten kyrillischen Zeichen und dem Absender „The Ruth & Marvin Sackner Archive of Visual and Concrete Poetry, Miami Beach“. Der Brief selbst war handschriftlich von Marvin Sackner geschrieben worden. Er erkundigte sich nach der Möglichkeit, die Zeitschrift „teraz mowie - Hefte für visuelle Poesie“ komplett zu erwerben. Den Tipp muss er aus Russland von den inzwischen verstorbenen Neofuturisten Serge Segay und Rea Nikonova bekommen haben. Und natürlich gab es die Möglichkeit, diese Hefte und noch viel mehr zu beziehen. Bei unseren weiteren Korrespondenzen wurde schnell deutlich, dass die Sackners das weltgrösste Archiv für Künstlerbücher und -editionen angesammelt hatten –  voller leidenschaftlicher Hingabe an die erworbenen Werke, mit denen sie ihr Haus gestalteten, Gäste aus aller Welt empfingen oder externe Ausstellungen konzipierten. Unter den Sammlern von Künstlerbüchern sind sie die Superstars. 

Man weiß nie so genau, wer bei einem Sammlerpaar dieser Klasse die Initiative für die private Sammlung ergreift. Ist sie geteilt? Gibt es gemeinsame Vorlieben, Abneigungen, gegensätzliche Impulse. Meine Korrespondenz  fand ausschliesslich mit Marvin statt.
Gelegentlich rief ich bei den Sackners an und einmal sprach ich mit Ruth über Menschen in öffentlichen Institutionen, die in herausragender Position sind, aber überhaupt keine Impulse für die Sammlung haben. Warum die ausgerechnet mit Kunst zu tun haben, weiß niemand. Beim Finanzamt wären sie vermutlich viel effektiver. Für Ruth waren das Menschen ohne langen Atem, ohne Leidenschaft für die Kunst, ohne Ausdauer. 

Eine Sammlung steht und fällt mit dem, der sie betreibt. Die Hasardeure waren mir da immer lieber als die Bürokraten, die dauernd wegen ihres Etats jammern. Und ich erinnere mich sehr gern an eine Bekannte in einer namhaften Bilbliothek, die gegen die Anordnung ihrer Direktorin, die lieber das Geld in die Digitalisierung des Bestands investieren wollte, weiterhin einfach Künstlerbücher erwarb und sich einen endlosen Kleinkrieg mit der Dame lieferte, bis sie nach etlichen Abmahnungsbescheiden per Gerichtsbeschluss rausgeschmissen wurde. Der Bestand der Bibliothek mag nun online verfügbar sein. Na und? Mich interessiert da eher der Dubuffet im Grafikschrank. 

Kurz bevor die Sackners als aktive Sammler aufhörten, besuchten sie mich noch einmal in Berlin. Wir verbrachten einen sehr entspannten Tag am Potsdamer Platz und in meinem 12 Quadratmeter großen Zimmer in Schöneberg, zu dritt auf wackeligen Stühlen, wobei einer zusammenkrachte. Ruth ist mir als eine attraktive, warmherzige Frau in Erinnerung geblieben. Heute schrieb mir Marvin, daß sie am 11. Oktober 2015 im Schlaf gestorben ist. 

H.A.

Sackner-Archive: