Die Explosion erzeugte eine noch nie dagewesene Situation. Am Himmel blies der Wind die Wolken in alle Richtungen, welche verstrahlten Regen fallen liessen, wo immer sie wollten. Auf der Erde flossen überall verseuchte Flüsse und auch die Erde selbst verstrahlte den Tod. In dieser Situation war es notwendig, einen gewissenTeil der Bevölkerung zu opfern, um die schlimmen Folgen des Unfalls zu verringern. Diese Opfer waren hauptsächlich Männer, älter als 32 Jahre, gesund und Erzeuger von mindestens zwei Kindern. Sie bekamen den Namen Liquidator. Ihre Aufgabe war: den Reaktor mit Beton einzuhüllen, um ihn herum einen Sarkophag anzufertigen damit er nicht mehr strahlen konnte, alle umliegende verseuchte Erde einzusammeln und sie in Endlager wegzuschaffen, die Strahlung von allem was von Wert sein konnte abzuwaschen, sich selbst zu verstrahlen und zu sterben. Natürlich hatten sie keinerlei Erfahrung, in verstrahlten Gebieten zu arbeiten. Es war eine hilflose Herde, die in der Zone eintraf und sie machte solchen Unsinn, der erstaunte, selbst in einem so erstaunlichen Land und in einer so erstaunlichen Zeit. Sie sammelten und assen Pilze aus dem verstrahlten Wald, sie fischten und salzten Fische ein aus den verstrahlten Teichen, sie versuchten so zu leben wie bisher und brachten sich so in grosse Gefahr.
Zu dieser Zeit hatte ich die nukleare Hochschule längst abgeschlossen und bereits mit funktionierenden Reaktoren gearbeitet. Mich als Liquidator in höchstem Amt, schickte man näher an den Reaktor als alle anderen. Unter mir arbeiteten Leute, die bei Gott nichts verstanden, weder was sie zu tun hatten, noch wo sie sich befanden und die über mir, die Könige aus Kiew, kamen vorübergehend angereist, und ich musste ihnen berichten, was ich mit dem Reaktor mache, und sie wiederum berichteten ihren Vorgesetzten, was sie von mir erfuhren.
In meiner Nähe arbeiteten Kollegen und Freunde: Ärzte und Radiologen, die keinem Menschen helfen, sondern nur die irreversiblen Prozesse, die sich im Organismus ereigneten, beobachten konnten. Soldaten und Offiziere, die in ungleichem Kampf mit der Strahlung aufeinander trafen, konnten nur verlieren. Physiker und Ingenieure, die sich bis zu diesem Zeitpunkt kaum vorstellen konnten, wie ein Reaktor arbeitet. Aber wir alle plusterten uns auf wie Helden; freilich, die, die schlauer waren, taten es nur zum Schein. So war die Zusammensetzung der Liquidatoren zu dieser Zeit.
Heute, 25 Jahre später, hat sich ihre Anzahl aufgrund der Todesfälle stark vermindert, doch die Anzahl der heldenhaften Trittbrettfahrer, die sich eingeschlichen haben, ist plötzlich stark gestiegen.
Ich werde ein paar kurze Szenen aus dem alltäglichen Leben der Liquidatoren beschreiben.
Die erste Gruppe von Liquidatoren waren 300 Wehrpflichtige.Ich gehe die Reihe entlang und schaue diesen Menschen in die Augen. Viele von ihnen haben grosse Angst, Angst vor dem Unbekannten. Von den 300 können nur zehn arbeiten, ohne ihren Kopf zu verlieren, die übrigen müssen irgendwie geschont und ein paar Monate später zurückgeschickt werden.
Eine gewöhnliche Unterhaltung: „Chef, ich habe Familie, eine starke Frau. Wird mein Penis noch stehen oder nicht? Die Familie wird sonst auseinanderbrechen.“„Herr, aber woher soll ich das wissen? Bei jedem ist es anders.“
Ein anderes Gespräch. „Ich bin Schweissermeister. Ich bin Drechslermeister. Gib uns Arbeit, wir werden tun was du willst.“„Ich kann nicht, bei Gott, ich kann nicht, ich habe keine solche Arbeit. Ich habe absolut keine, nur eine so blöde - hebe einen Stein auf und wirf ihn weg.“
Noch eine Szene vor einer Gruppe in Reih und Glied. Frage: „Haben wir Schreiner?“ Einige treten vor. „Ihr könnt Särge machen.“ „Für wen?“ „Ich weiss noch nicht. Särge auf Vorrat.“
Die nächste Szene, genannt das "Anzüglein". Für die Arbeit in besonders gefährlichen Bereichen mit hoher Verstrahlung, hatten wir auf Bestellung einen speziell berechneten Schutzanzug herstellen lassen, der die Strahlung auf den menschlichen Körper reduziert. Die Berechnungen und die Herstellung nahmen erhebliche Zeit in Anspruch. Und da- endlich, kam unser Anzug. Fertig sah er aus, wie eine Weste und Unterhosen. Überall waren Taschen angenäht, die mit bleiernen Schrotkugeln gefüllt waren, etwa 10-12 cm dick. Ich forderte drei Jungen auf, diese Anzüge auszuladen, was sie nur mitgrösster Mühe bewerkstelligen konnten. Und leider, anziehen und tragen konnte diesen Anzug niemand.
Andreas Amsel-Rabe