Entstehung der Sympathie (Anziehungskraft) der Geschlechter (sexus): Hypothese: Männliches und weibliches Individuum sind ursprünglich auf gemeinsamen Mutterboden (aus ein und demselben Ei) entsprungen, mit ursprünglicher organischer Verbindung, die erst mit der Reife aufgehoben wurde. Infolgedessen eine Verwandtschaft der Nerven und damit ein lebhaftes Gefühl für die sexuellen Eigenschaften und Gefühle des anderen Teiles, die auf eine physische Vereinigung vermöge des Mitgefühls (Gefühl für die Wollust des anderen Teils) dringen. (Man fühlt die eigene Wollust in der antizipierten Wollust des anderen Geschlechtes).
(Tagebuch, 7.1.1922)
1. Bei normaler physischer Konstitution, bei derjenigen, die Bedingung der Existenz des Lebens ist, hat die Sexualverbindung die Wirkung der Zeugung. [...]
4. Die Geschlechtslust ist ein Naturfaktor, welcher ohne den Willen der Personen als Trieb, ja gelegentlich wider ihn, diese Vereinigung verursacht, und zwar ohne den Willen der Zeugung. [...]
5. Nun greift der Sexual-Akt ganz gewaltig in die Zwecksphäre jeder der Personen ein, die den Sexual-Organismus ausmachen. Es liegt also das Problem vor: Wie ist nach dem Gesetze des Willens dieser Eingriff als Naturhandlung ethisch einzuschränken? [...]
7. Nun ist mein Organismus mir ethisch unantastbar zu eigen. Jeder der Handelnden macht sich also den fremden Organismus zu eigen und veräußert das Ganze zugleich an den anderen. Es liegt also nicht bloß eine Leihe der Sexual-Organe, sondern eine Übereignung der Totalität des Organismus vor; denn die Sexual-Organe lassen sich technisch ersetzen. Der ganze Reiz des fremden Organismus, ja sogar der psychische Reiz wirkt mit. [...]
9. Doch läßt sich sagen, daß die Leistung des Mannes der des Weibes nicht äquivalent ist. (Ist auch das doppelte Moral, meine lieben Frauenrechtler von der freien Liebe? Nein, es ist einfache Natur.). Also formuliert: Du sollst den Leib der Frau als Mittel zu deinem Zweck weder gebrauchen, noch gebrauchen lassen ohne Übereignung des Leibes des Partners. [...]
Sich demgegenüber auf die Polygamie oder Sexual-Verhältnisse anderer oder früherer Völker berufen, ist lächerlich. Denn darauf gegründet, kann man auch die Sklaverei, die Hexenprozesse und was alles sonst noch rechtfertigen. Sittliche Irrtümer, die der Geschichte angehören, widerlegen nicht die sittliche Wahrheit.
Ernst Marcus: Das Rätsel der Sittlichkeit und seine Lösung. Mit besonderer Berücksichtigung des Sexualproblems (sog. Revolution der Jugend), München: Reinhardt 1932 (posthum), 164 ff.
(weitergeleitet von Dr. Detlef Thiel)
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