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Montag, 11. Juni 2012

In eigener Sprache


Valeri Scherstjanoi, Notizbuch 2012



Da ich kein Stadtkind war
Und das ärgerte mich sehr
Träumte ich von der Stadt
Ich liebte die Stadt
Wo meine ersten Alphabete begannen
Die ersten Buchstaben, die Zeichen der Stadt
Sie leuchteten im Himmel
In allen Regenbogenfarben
Die ersten Buchstaben
Die Zeichen der Stadt 
Die Sternzeichen der Stadt
In Neonlichtern
Sie tanzten und jubelten
Nicht wie im Dorf
Wo zwar der Himmel größer war
Wo aber alles still lag
Wie gelähmt 
Kühe Hühner Katzen Staub Steine Hitze
Schmutzige Straßen im Regen
War ich zurück
So träumte ich wieder und wieder von der Stadt
Zurück und eingeschult im Dorf
Lehrtafeln mit den strengen Hinweisen
So! muss man richtig sitzen
So! richtig den Federhalter in der Hand halten
So! den Rücken gerade halten
So schön schreiben
Schönschreiberei Rechtschreibungen
Mit welchem Recht
Schreibungen
Nach dem Befehl der Lehrerin
Die ersten Diktate 
Mit den reizlosen und faden Inhalten 
Nach den nichts sagenden Mustern 
Die ersten Buchstaben selbst schreiben
Die ersten Skizzen zu deiner Handschrift
Die dich dein Leben lang begleiten wird
Und die Stadt? 
Die Stadt mit den phantastischen 
                                  Zeichen verschwand
Aber das Schreiben gefiel mir
Beim Schreiben konnte ich mir ausdenken
Was ich wollte
Darin erkannte ich die eigene Handschrift
In eigener Sprache
Jeder Buchstabe ist ein Zeichen
Klang-Zeichen
Ich sah es im Raum schweben
Es wiederholt sich
Sie wiederholen sich
Immer wieder
Linear oder kreisend
Sie gehen ineinander
Auseinander explodieren
Verlieren ihre Klänge
Ich schreibe im Dunkeln
und sehe die Zeichen im Raum schweben
Leuchtende Sprachen 
Vom Schreiben zum Zeichnen 
Und in jedem Blatt die Zeit lassen

Valeri Scherstjanoi

Das Poem wurde aus dem Buch "Mein Futurismus" zitiert, Seite 153 - 154

Homepage Valeri Scherstjanoi:


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