Magier verbrennen nach ihrer Bekehrung durch den Apostel Paulus in Ephesus ihre heidnischen Bücher (nach Gustave Doré) |
Radikaler Populismus erreicht neue Rekorde in Deutschland – mit Vertretern, so unterschiedlich wie der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und dem Aktions-Artisten Artur Żmijewski. Żmijewski, der KZ-Häftlingen gerne mal die Gefängnisnummer erneut eintätowiert, ist derzeit Chef des renommierten Kunstfestivals Berlin Biennale. Mit seinen Grenzüberschreitungen eröffnet der “Erlöserkünstler” eine politische Grauzone, in der rechts und links ununterscheidbar wirken. Der Essay des Berliner Gazette-Autors Wolfgang Müller nimmt das politische Seitenwechselspiel der platten Provokationen unter die Lupe: von den “Gas geben”- Plakaten der NPD bis hin zu der “Deutschland schafft es ab”-Aktion.
“Lechts und rinks kann man nicht velwechsern. Werch ein Illtum!” Ernst Jandl
Ist es möglich, dass die Kunst des Berlin-Biennale-Kurators Artur Żmijewski und seiner von ihm berufenen Co-Kuratoren eigentlich nicht links ist, sondern eher rechts? In der Kunst von Artur Żmijewski werden Hierarchien weder irritiert, noch tiefere Erkenntnisse vermittelt.
Bekannt wurde sein Video „80064“ aus dem Jahr 2004, wo der Künstler die Häftlingsnummer des 92-jährigen ehemaligen KZ-Häftlings Josef Tarnawa, der von einer kleinen Rente lebt, neu eintätowiert. Ähnliches exerzierte Santiago Sierra mit drei drogensüchtigen Prostituierten, denen er eine durchgehende Linie auf den Rücken eintätowierte. Während Sierra damit kokettierte, die Genehmigung der Frauen gegen Drogen erkauft zu haben, schweigt Żmijewski dezent darüber, was er dem Rentner für die Tätowierung bezahlt hat. Es sollen um die 50.000 Euro gewesen sein.
Der Zeitschrift „Art“ sagt der Künstler: „Ich habe den Mann genötigt und missbraucht. Ich wollte ihn noch mal zum Opfer machen, um diesen Moment zu beobachten, in dem er zustimmt, Opfer zu sein.“
Sicher wäre es möglich, diese zweite Tätowierung als künstlerisches Gleichnis von Traumaarbeit zu interpretieren und die coolen Sprüche des Künstlers von der Lust am Leiden anderer Menschen als hyperaffirmativ oder moralische Geste des Aufrüttelns zu deuten. Aber würde das diese Kunst, die unbedingt Grenzen überschreiten will, nicht sogar noch uninteressanter machen, als sie es eh schon ist?
Der Tabubruch und die Grenzüberschreitung, die hier so bemüht gesucht wird, findet ausschließlich an Körpern von Menschen statt, die sozusagen „anerkannte“ Außenseiter sind – auf die Idee, sich den eigenen Körper oder den des deutschen Bundespräsidenten, von Bankvorständen oder Hedgefondsmanagern vorzunehmen, sind die hauptberuflichen Tabubrecher des Kunstbetriebs noch nicht gekommen.
Wie teuer würde es werden, den Ex-Bundespräsidenten Wulff oder seine Frau zu einem klitzekleinen Tättoo mit den Worten „unbestechlich“ oder „unbezahlbar“ zu überreden? An solchen Beispielen wird deutlich, wie erschreckend ironiefrei, konservativ, effekthaschend und flach die Kunst von Santiago Sierra oder Artur Żmijewski tatsächlich ist.
Derzeit sucht Santiago Sierra in Island nach „reumütigen Bankmanagern“ – welch öder Populismus nach dem dortigen Bankencrash 2008! In der Macho-Erlöser-Spektakelkunst werden die Grenzen, die gebrochen werden sollen, ausschließlich im Außen gesucht. Sie sind aufs Engste mit dem Mainstream der Zeit gekoppelt und extrem von diesem abhängig, jedoch ohne ihn dabei ernsthaft zu irritieren.
Verglichen mit dieser Kunst sind die zynischen, absolut ekelhaften Grenzüberschreitungen der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) möglicherweise raffinierter. Was tun, wenn die NPD in unmittelbarer Nähe des Holocaust-Mahnmals ihre Wahlplakate mit Aufdruck „Gas geben“ aufhängt? Darauf abgebildet ist der Vorsitzende der NPD auf einem Motorrad.
Sollte man zugeben, die NPD hätte in punkto Zynismus und Subversion inzwischen sehr viel mehr gelernt, sie gehe geistreicher und raffinierter mit dem Thema Grenzüberschreitung und Tabubruch um, als Żmijewski und seine Co-Kuratoren? Tatsächlich gelang es nur dem Satiremagazin TITANIC beziehungsweise der „Partei“ eine adäquate, geistreiche Antwort auf die NPD-Plakate zu geben: Die Partei klebte einfach ein Portrait von Haider und seines bei Tempo 170 zu Schrott gefahrenen Fahrzeugs darüber.
Kürzlich gab es ein neuerliches Spektakel, das die Eindimensionalität und Ideenarmut der Biennale-Kuratoren beweist: die „Deutschland schafft es ab“-Aktion. Der tschechische Künstler Martin Zet kommentierte mit dieser Aktion Thilo Sarrazins rassistischen Bestseller Deutschland schafft sich ab (2010).
„Ab einem bestimmten Moment ist es nicht mehr wichtig, was die Qualität oder wahre Intention eines Buches ist, sondern welchen Effekt es in der deutschen Gesellschaft hat“, begründete Zet seinen Plan. „Das Buch weckte und förderte antimigrantische und hauptsächlich antitürkische Tendenzen in diesem Land.“ Stolz darf Auftragskünstler Martin Zet im Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ seine Plattitüden verbreiten. Ursprünglich sollten laut Konzept Sarrazinbücher in „Sammelstellen“ abgegeben und entsorgt werden.
Wer es tatsächlich wissen möchte, erfährt aus dem internen Kreis schnell, dass dieser „Einfall“ im Grunde von Żmijewski selber stammt, Zet führte ihn dann lediglich aus. Der Auftragskünstler rechnete – ganz Visionär – mit einem Rückgang von 60.000 Büchern, das wäre eine Quote von fünf Prozent der Gesamtauflage. Vermutlich nahm er an, dass reumütige Ex-Rassisten mit zerlesenem „Deutschland schafft sich ab“-Buch und schamrotem Gesicht in die garantiert 100-prozentig rassismusfreien Kunstgemeinden strömen, wo die Kunstfreunde ihnen rhythmisch Beifall klatschen würden.
Dass das Wort „Sammelstelle“ und „Buch-Recycling“ gewisse Assoziationen in Deutschland freisetzen könne – Stichwort: Bücherverbrennung – daran hatten Martin Zet und sein Auftraggeber gar nicht gedacht. Doof, naiv, zynisch, dummdreist oder nur eitel? Der „Welt“ sagt der Berlin-Biennalekünstler im Interview größenwahnsinnig: „Nun, ich glaube, ich bin die zurzeit meistgehasste Person Deutschlands.“ Hass?!
Ein Mensch, der sich mit solch einfältigen „Einfällen“ derart funktionalisieren lässt, so wenig künstlerische Begabung offenbart, scheint eher bedauernswert. Doch das Mitgefühl hält sich in Grenzen. Fremdschämen wäre so ein Ausdruck dieses Gefühls. Aber Fremdschämen funktioniert hier nicht, da ja künstlerisches Mittelmaß derzeit sehr gut gefördert und finanziert wird.
Christoph Tannert vom Künstlerhaus Bethanien, dessen Institution von Anfang an nicht zugesagt hatte, sah nun seine Chance. Er stimmte einfach in den Klagechor der Verfolgten ein. Damit heulte er im Chor mit den sich nun als Opfer inszenierenden Sarrazin-Fans und unbekennenden Rassisten. Die Islamophobiker und der rechte
Mob im Bürgerkleid zitierten in den Blogs des KW Institute for Contemporary Art Heinrich Heine und assoziierten eine Bücherverbrennung und die Verfolgung ihrer unliebsamen „Wahrheiten“.
Mob im Bürgerkleid zitierten in den Blogs des KW Institute for Contemporary Art Heinrich Heine und assoziierten eine Bücherverbrennung und die Verfolgung ihrer unliebsamen „Wahrheiten“.
Tannert sprach im Deutschlandfunk gar von „Zensur“. Zensur? Wenn die lachhafte Sarrazin-Buchrecyclingsnummer tatsächlich zur Folge haben würde, dass schamrote Ex-Rassisten vereint mit ihrem Idol, dem Ex-Bänker Sarrazzin, an der Spitze in die garantiert 100-prozentig rassismusfreien Kunsthallen und Kunsthäuser schleichen, um ihr zerlesenes „Deutschland schafft sich ab“ freiwillig in den Schredder zu geben? Ich fände das super! Schließlich verschwand ein anderer Besteller, nämlich die millionenfach verkaufte deutsche Ausgabe von „Mein Kampf“, 1945 ebenfalls schlagartig. Es wurde so rar, dass es heute im Antiquariat über 200 Euro kostet.
Wie kann man von Zensur sprechen, wenn die Käufer eines Buches blitzartig anderer Meinung sind und ihre Bibel geschockt im Müll entsorgen? Noch nie etwas von Remittenden gehört? Wo soll denn hier Zensur herrschen? Es gibt Leute, die sind nur in der DDR gut, sagte Joseph Beuys in den 1980er Jahren einmal. Christoph Tannert gehört vermutlich zu diesen Leuten.
Die Kuratorin Katharina Kaiser vereint dagegen in ihrer die Kunstwerke unterstützenden Argumentation den Zensurvorwurf nach dem Motto: Die freie Assoziation würde mit dieser Kritik (an Wörtern wie „Sammelstelle“ und „Recycling“ = Buchzerstörung) hier eingeschränkt und zensiert – und schlägt gleichzeitig die Volte mit Marcel Duchamp: Kunst entsteht doch erst im Kopf der Betrachter. So löscht ihr eines Argument das andere aus. Folglich müssten, nach Katharina Kaiser, der Kunstbetrieb und seine Manager einschließlich ihrer Institutionen in etwa so unfehlbar sein, wie der deutsche Papst Benedikt.
Bei der unterkomplexen Form „politische Kunst“ bleibt am Ende tatsächlich nur ein Mysterium: die Berufung der Erlöser. Wer hat das getan? Wer ist dafür verantwortlich? Und warum? Welche Personen entscheiden in den Institutionen und Kunstwerken darüber? Wer ist dafür verantwortlich? Wer setzt die Maßstäbe? Von wem sind die Berufenen berufen worden, um wiederum andere zu berufen? Auf wen berufen sie sich?
Warum sollte es im Kunstbetrieb eigentlich anders funktionieren als beim Ex-Bundespräsidenten? Auf jeden Fall beweist diese Kunst ihre tiefe Angepasstheit und Konformität. Sie ist in populistischer Symbolik fest verhaftet, ohne dass ihr die Bewegung ins Offene gelingt.
Ihr fehlen wesentliche Qualitäten, in denen die Kunst zu Forschung werden könnte – eine Forschung, die Wahrnehmung und ihre Mechanismen untersucht, Grenzen in Schwingung versetzt und damit das Unaussprechliche und Unübersetzbare gestaltet oder andeutet. Deshalb ist die erwähnte „politische Kunst“ von Żmijewski, Sierra oder ihren Nacheiferern gar keine politische, sondern vor allem eine mystische. Alles läuft auf eines hinaus: Die Mystik der Berufung der Berufenen.
Diese Mystik kommt jedoch kaum an gegen die weit effektvollere Mystik der neuen Nazis und Rassisten: Die nächtlichen Umzüge der „Spreelichter“, die vollzogenen, brutalen Morde mit der effektvollen Begleitung von „Rosaroter Panther“-Clips oder die zynische Subversion der „Gas geben“-Plakatierung der NPD am Holocaust-Mahnmal.
Es nützt nichts, auf der „richtigen Seite“ zu stehen, wenn angesichts der unterirdischen ästhetischen Qualitäten der Kunst von Żmijewski und anderer Erlöserkünstler das aufgeklärte Kunstpublikum dezent schweigt und daran aufkommende Kritik lediglich als Beleg der großen Bedeutung dieser unterkomplexen Kunst abgetan wird.
Wolfgang Müller
Der Artikel erschien bereits in der Berliner Gazette
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