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Mittwoch, 30. September 2015

Femininiweh


Im Ordinierzimmer des berühmten Professors Steinach treten Zuchtbullen, Lustgreise, Hermaphroditen, Blüherianer und andere Dalailendenlahmas von Koitibet einander die verjüngungsbedürftigen Hacken ab. Doch heute war darin etwas Besonderes los, was ganz Feierliches –: vielleicht sollte von dorther dem armen Vaterlande die Rettung kommen?
In einem riesigen Lederklubsessel wuchtete die mastige Gestalt eines vormaligen Feldmarschalls, der vor den Augen eine violette Brille, in der schweren Faust den Stadtplan von Paris hatte. Dicht neben ihm saß ein nicht mehr allzu junger Mann in agrarischem Kostüm, sanftes Monokel vor unverkennbarem Herrscherblick, die Miniaturphotographie der (durch H. v. Kleist bekannten) Königin Luise betrachtend. In gemessner Entfernung hinter beiden stand eine offenbar untergeordnete Person, die ein Juchtenköfferchen am Bügel hielt. Auf der Chaiselongue jedoch, in theatralischer Pose lang hingestreckt, lag ein Mann, der wie eine Amazone anzusehen war. Sein Brünhildenhabit blinkte von metallenen Hakenkreuzchen.
Man unterhielt sich in martialischem Flüsterton:
„1429 – 1929, ein halbes Millennium! Was sagen zu dieser jewissermaßen Spenglerischen Parallele, ’X’lenz?“ fragte das Monokel den Exmarschall.
„Nach fünfhundert Jahren mag sich das gleiche Wunder in unserm Vaterland ereignen, K’loheit. Wir werden Paris ....“
Ein hochvornehmer Diener erschien und bat zum Professor.
„Vorwärts, Johanna!“ wendete sich der Jüngere in ehrerbietigem Befehlston an den liegenden Weibmann, dem ’X’lenz zum Aufstehen verhalf. Beide nahmen ihn in die Mitte; der Mensch mit dem Köfferchen folgte.
Überrascht strahlte der Steinachsche Backenbart: „Traue ich meinen Augen? K’loheit und ’X’lenz?! Und Sie bringen mir einen Patienten? Womit diene ich untertänigst? Nehmen Sie Platz, meine Herrschaften!“
Die drei setzten sich. Die vierte mit dem Köfferchen blieb stehen, wurde von K’loheit gebieterisch herangewinkt: „Öffnen!“ kommandierte K’loheit. ’X’lenz entnahm dem Koffer eine ritterlich geharnischte Statuette und präsentierte sie mit düstrem Triumph dem erstaunten Steinach:
„???“ glotzte der Professor.
„Erklären, ’X’lenz!“ blitzte das Monokel.
„Jeanne d’Arc, Jungfrau von Orleans“, bestätigte ’X’lenz dem zweifelnden Professor.
Als Steinach nicht aufhörte, sich zu verwundern, ließ sich der Weibmann gnädig herbei und verlautbarte sich folgendermaßen:
„Vor fünfhundert Jahren hat eine reine, nach Feuertod obendrein heilig gesprochene Jungfrau ihr bedrohtes Frankreich gerettet. Unsere vaterländischen Jungfraun sind keine Helden, unsere Helden noch keine Jungfraun. Liegt es da, Steinach, nicht verdammt nahe, Ihre biologischen Entdeckungen zu benutzen, um aus einem reinen Helden eine ebenso reine Jungfrau zu machen? Es gilt ein Experiment, dem ich mich gern unterwerfe: pflanzen Sie mir die Keimdrüse geschickt um! Sie werden ja irgend ’ne virgo intacta auf Lager haben .... Unser armes Reich wird es Ihnen reich honorieren.“
Steinach ächzte, behandelte seinen Bart ähnlich wie früher Sudermann den seinigen. Die Herren hingen gebannt an seinen von der gewaltigen Denkarbeit rilievierten Zügen.
„Steinach“, krähte K’loheit, „runzeln Sie von mir aus, was Sie wollen, nur nicht die Stirn!“
„An sich“, lächelte Steinach gequält, „stände einem derartigen Experiment nichts im Wege; nur garantiere ich keinen Erfolg.“
„Aber ich!“ trumpfte der Entschlossne auf und warf sein Amazonengewand ab: „Weg mit dieser Vorspiegelung! Ans Werk!“
Steinach atmete genau so wie der Taucher in Schillers berüchtigter Ballade.
„Noch eins, Professor,“ sprach der jungfräuliche Held, „bei mir hat fast alles seinen Haken, sogar das Kreuz. Richten Sie sich nicht nach dieser Statuette! Ich lege keinen Wert auf Heiligsprechung. Mich gelüstet’s weniger nach Abrahams Schoß als nach Walhall. Jene christliche Jungfrau war schließlich ’ne aufgelegte Pleite. Nein, kein martyrischer Feuertod, sondern machen Sie aus mir eine regelrecht waberlohende Walküre!“
„No, gehn’s, Steinach“, bettelte ’X’lenz im einschmeichelndsten Jargon, „wos liegt Ihnen daran, tun’s uns schon den Gefolln!“
Und Steinach holte eine reine Magd und legte Hand an. Der berühmte biologische Chirurg operierte. (Arm-Heinrich-Stimmung.) Denn, wie der Exmarschall versicherte, spielte „Jeld jarkeene Rolle, wirklich nich!“
Aber o weh! Der Erfolg ließ zu wünschen übrig. Die Prozedur mißriet zur Kastration. Von dem Spruch „Wie süß ist’s, im Elend Genossen zu haben!“ machten alle Hammel sofort Gebrauch. Es ist paradox, sich nur zur Entmannung zu ermannen. Es lag nicht am Helden, der Manns genug war, Weib sein zu wollen. Ironischerweise wurde er von dem an in jeder besseren Badeanstalt für einen leibhaftigen Juden gehalten ....
Steinach prozessiert noch heut mit K’loheit ums Honorar. Er soll hinzulernen und seine Methode verbessern. Das Vaterland wartet auf Wiederholung des Experiments (man lese Preisausschreiben vormaliger Dynasten). Am tragischsten aber sind doch die Helden, die sich lächerlich machen. Man denke sich einen Napoleon, der im Momente seiner Krönung „hätschi!“ macht .... K’loheit und ’X’lenz mußten sich ihr Lachen verbärbeißen.

Mynona

Berliner Börsen-Courier Nr. 366 (6. August 1924). 2. Fassung (danach der Text): Eulenspiegel. Zeitschrift für Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung (hg. Heinrich Zille, Otto Nagel & Bruno W. Reimann, Berlin) 1, Nr. 1 (1. April 1928)
Friedlaender/Mynona: Gesammelte Schriften, Bd. 8, 2008, 65 ff.

(Mit Dank an Dr. Detlef Thiel)


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