im september
1998 war ich mit einer gruppe deutscher autoren auf lesereise in russland. wer
war dabei? wer blieb mir im kopf? thomas kling, bodo hell, papenfuss-gorek,
günter hirt, sascha wonders… manchmal stiess sascha anderson dazu & schmiss
aufdringlich & peinlicherweise in einer teuren moskauer dollar-bar eine
runde, obwohl das eigentlich keiner wollte. bei einer veranstaltung übersetzte
prigow spontan simultan meinen text. im moskauer lenin-mausoleum wurden bodo
hell & ich von polizisten verwarnt, weil wir flüsterten. im riesigen
kaufhaus gum dagegen konnten wir ungestört reden. es gab dort ein neues klavier
für umgerechnet 40 mark. irgendwer brachte welimir chlebnikow (1885-1922) ins
gespräch. jemand wusste, dass er auf einem moskauer friedhof beerdigt sei. wir
beschlossen, sein grab zu suchen. alle schwärmten in verschiedene richtungen
aus & durchsuchten systematisch die gräberreihen. nach nicht allzulanger
zeit ein erfolgsschrei! da lag sie, die schöne mongolin wie der grosse buddha
von wat pho, aber nur etwa einen meter lang. es ist eine jahrhunderte alte
grabstele, die ursprünglich in der weiten tungusischen steppe ein grab geziert
haben mag, aufrecht zu etwa einem drittel in die erde eingegraben. jetzt liegt
sie seit fast hundert jahren auf dem vergessenen grab von einem der wichtigsten
dichter des 20. jahrhunderts, versteckt im gebüsch. – seltsam, die ursprünglich
für eine aufrechte position konzipierte figur nun liegend zu sehen, der kopf
ohne stütze aus dem körper herausragend. ein zweifacher umsturz, aus fleisch
& aus stein.
hartmut
geerken
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