Im Ordinierzimmer des berühmten
Professors Steinach treten Zuchtbullen, Lustgreise, Hermaphroditen, Blüherianer
und andere Dalailendenlahmas von Koitibet einander die verjüngungsbedürftigen
Hacken ab. Doch heute war darin etwas Besonderes los, was ganz Feierliches –:
vielleicht sollte von dorther dem armen Vaterlande die Rettung kommen?
In einem riesigen
Lederklubsessel wuchtete die mastige Gestalt eines vormaligen Feldmarschalls,
der vor den Augen eine violette Brille, in der schweren Faust den Stadtplan von
Paris hatte. Dicht neben ihm saß ein nicht mehr allzu junger Mann in
agrarischem Kostüm, sanftes Monokel vor unverkennbarem Herrscherblick, die
Miniaturphotographie der (durch H. v. Kleist bekannten) Königin Luise betrachtend.
In gemessner Entfernung hinter beiden stand eine offenbar untergeordnete
Person, die ein Juchtenköfferchen am Bügel hielt. Auf der Chaiselongue jedoch,
in theatralischer Pose lang hingestreckt, lag ein Mann, der wie eine Amazone
anzusehen war. Sein Brünhildenhabit blinkte von metallenen Hakenkreuzchen.
Man unterhielt sich in
martialischem Flüsterton:
„1429 – 1929, ein halbes
Millennium! Was sagen zu dieser jewissermaßen Spenglerischen Parallele,
’X’lenz?“ fragte das Monokel den Exmarschall.
„Nach fünfhundert Jahren mag
sich das gleiche Wunder in unserm Vaterland ereignen, K’loheit. Wir werden
Paris ....“
Ein hochvornehmer Diener
erschien und bat zum Professor.
„Vorwärts, Johanna!“ wendete
sich der Jüngere in ehrerbietigem Befehlston an den liegenden Weibmann, dem
’X’lenz zum Aufstehen verhalf. Beide nahmen ihn in die Mitte; der Mensch mit
dem Köfferchen folgte.
Überrascht strahlte der
Steinachsche Backenbart: „Traue ich meinen Augen? K’loheit und ’X’lenz?! Und
Sie bringen mir einen Patienten? Womit diene ich untertänigst? Nehmen Sie
Platz, meine Herrschaften!“
Die drei setzten sich. Die
vierte mit dem Köfferchen blieb stehen, wurde von K’loheit gebieterisch
herangewinkt: „Öffnen!“ kommandierte K’loheit. ’X’lenz entnahm dem Koffer eine
ritterlich geharnischte Statuette und präsentierte sie mit düstrem Triumph dem
erstaunten Steinach:
„???“ glotzte der Professor.
„Erklären, ’X’lenz!“ blitzte das
Monokel.
„Jeanne d’Arc, Jungfrau von
Orleans“, bestätigte ’X’lenz dem zweifelnden Professor.
Als Steinach nicht aufhörte,
sich zu verwundern, ließ sich der Weibmann gnädig herbei und verlautbarte sich
folgendermaßen:
„Vor fünfhundert Jahren hat eine
reine, nach Feuertod obendrein heilig gesprochene Jungfrau ihr bedrohtes
Frankreich gerettet. Unsere vaterländischen Jungfraun sind keine Helden, unsere
Helden noch keine Jungfraun. Liegt es da, Steinach, nicht verdammt nahe, Ihre
biologischen Entdeckungen zu benutzen, um aus einem reinen Helden eine ebenso
reine Jungfrau zu machen? Es gilt ein Experiment, dem ich mich gern unterwerfe:
pflanzen Sie mir die Keimdrüse geschickt um! Sie werden ja irgend ’ne virgo intacta auf Lager haben .... Unser
armes Reich wird es Ihnen reich honorieren.“
Steinach ächzte, behandelte
seinen Bart ähnlich wie früher Sudermann den seinigen. Die Herren hingen
gebannt an seinen von der gewaltigen Denkarbeit rilievierten Zügen.
„Steinach“, krähte K’loheit,
„runzeln Sie von mir aus, was Sie wollen, nur nicht die Stirn!“
„An sich“, lächelte Steinach
gequält, „stände einem derartigen Experiment nichts im Wege; nur garantiere ich
keinen Erfolg.“
„Aber ich!“ trumpfte der
Entschlossne auf und warf sein Amazonengewand ab: „Weg mit dieser
Vorspiegelung! Ans Werk!“
Steinach atmete genau so wie der
Taucher in Schillers berüchtigter Ballade.
„Noch eins, Professor,“ sprach
der jungfräuliche Held, „bei mir hat fast alles seinen Haken, sogar das Kreuz.
Richten Sie sich nicht nach dieser Statuette! Ich lege keinen Wert auf
Heiligsprechung. Mich gelüstet’s weniger nach Abrahams Schoß als nach Walhall.
Jene christliche Jungfrau war schließlich ’ne aufgelegte Pleite. Nein, kein
martyrischer Feuertod, sondern machen Sie aus mir eine regelrecht waberlohende
Walküre!“
„No, gehn’s, Steinach“, bettelte
’X’lenz im einschmeichelndsten Jargon, „wos liegt Ihnen daran, tun’s uns schon
den Gefolln!“
Und Steinach holte eine reine
Magd und legte Hand an. Der berühmte biologische Chirurg operierte.
(Arm-Heinrich-Stimmung.) Denn, wie der Exmarschall versicherte, spielte „Jeld
jarkeene Rolle, wirklich nich!“
Aber o weh! Der Erfolg ließ zu wünschen
übrig. Die Prozedur mißriet zur Kastration. Von dem Spruch „Wie süß ist’s, im
Elend Genossen zu haben!“ machten alle Hammel sofort Gebrauch. Es ist paradox,
sich nur zur Entmannung zu ermannen. Es lag nicht am Helden, der Manns genug
war, Weib sein zu wollen. Ironischerweise wurde er von dem an in jeder besseren
Badeanstalt für einen leibhaftigen Juden gehalten ....
Steinach prozessiert noch heut
mit K’loheit ums Honorar. Er soll hinzulernen und seine Methode verbessern. Das
Vaterland wartet auf Wiederholung des Experiments (man lese Preisausschreiben
vormaliger Dynasten). Am tragischsten aber sind doch die Helden, die sich
lächerlich machen. Man denke sich einen Napoleon, der im Momente seiner Krönung
„hätschi!“ macht .... K’loheit und ’X’lenz mußten sich ihr Lachen verbärbeißen.
Mynona
Berliner Börsen-Courier Nr. 366 (6. August 1924). 2. Fassung (danach der Text): Eulenspiegel. Zeitschrift
für Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung (hg. Heinrich Zille, Otto
Nagel & Bruno W. Reimann, Berlin) 1, Nr. 1 (1. April 1928)
Friedlaender/Mynona: Gesammelte
Schriften, Bd. 8, 2008, 65 ff.
(Mit Dank an Dr. Detlef Thiel)