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Donnerstag, 28. August 2014

Es war einmal (Klaus Wowereit)

Tom of Finland, LIFE & WORK OF A GAY HERO

Früher konnte der Mann nichts falsch machen, inzwischen macht er nichts mehr richtig. Das Phänomen Klaus Wowereit hat sich überlebt.
Wer kennt ihn nicht: den Film Cabaret mit Liza Minnelli in der Hauptrolle? Die Verfilmung des Isherwood-Romans Goodbye to Berlin im Jahr 1972 war die wohl erfolgreichste Imagekampagne für das Berlin der Nachkriegszeit. Der Film erzählte vom Umbruch der „wilden Zwanziger“ Berlins in die düsteren Nazizeiten der dreißiger Jahre: Das moderne Großstadtleben als queer-androgyner Tanz auf dem Vulkan. Fasziniert von Cabaret war auch Popstar David Bowie. Er traf den inzwischen über 70-jährigen Schriftsteller Christopher Isherwood, um ihn nach seiner Zeit in den Berliner 1920er Jahren zu fragen. Berlin müsse doch damals eine total verrückte, freizügige Stadt gewesen sein? Doch Isherwood antwortete trocken, die Menschen würden halt dabei immer vergessen, dass er ein guter Schriftsteller sei.
Mit David Bowie und Iggy Pop zogen 1976 zum ersten Mal Weltstars auf die muffig-marode Insel West-Berlin. Es ist kein Zufall, dass nach David Bowies Einzug in eine Wohnung in der Hauptstraße 155 nur ein Jahr später, am 1. April 1977, zwei Hausnummern weiter das Café „Anderes Ufer“ eröffnete – das erste selbstbewusst schwul-lesbische Café Deutschlands ohne Einlasskontrolle und Sichtschutz. Dass die großformatige neo-expressionistische „Wilde Malerei“ aus Berlin wenige Jahre darauf folgte und zum weltweiten Exporthit wurde, wen wundert’s? So bunt und wild wie auf den Bildern von Salomé, Rainer Fetting, Elvira Bach und Helmut Middendorf sah die Wirklichkeit Westberlins allerdings nicht aus. Ganz im Gegenteil, stellte der kanadische Multimediakünstler und DAAD-Stipendiat Michael Morris bei seiner Ankunft 1980 ernüchtert fest: „Westberlin war grau, trüb, depressiv und im Winter war die Luft gefüllt vom Rauch der Kohleöfen.“
Die Frontstadt des Kalten Krieges war kein guter Ort für schnelle Karrieren, weder in der Kunst, noch im Journalismus, in Wirtschaft oder Management. Solche Karrieren waren eher möglich in Stuttgart, München, Hamburg, Köln oder Düsseldorf. Statt der erhofften Normalos strömten Menschen in die Halbstadt, die der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) nach den Kreuzberger Unruhen vom 1. Mai 1987 als „Antiberliner“ bezeichnete, die Mitglieder aller möglichen Subkulturen. Es gab also auf der einen Seite eine Szene, die das Westberliner Image stark prägte, und auf der anderen einen Regierenden Bürgermeister, der eher den Traum der Wilmersdorfer Witwen, Schrebergärtner und Kalten Krieger verkörperte. Seine Amtsperiode währte von 1984 bis 1989, wurde nur für wenige Monate von Walter Mompers rot-grünem Senat unterbrochen und quälte sich dann noch mithilfe der SPD bis 2001.
Der SPD gelang es wie durch ein Wunder, nahezu unbeschadet aus der Koalition auszusteigen: Denn wie aus dem Nichts tauchte 2001 ein gewisser Klaus Wowereit auf. Er vereinte Diepgens Schwiegersohn-Image mit dem der einstigen Antiberliner. Sein Satz „Ich bin schwul – und das ist auch gut so!“ war weit mehr als ein persönliches Bekenntnis. Es traf auch ein Lebensgefühl Berlins und klang wie ein schnoddriges: „Na und?“
Mit seiner Wahl zum Regierenden Bürgermeister ging ein Aufatmen durch die Stadt. Die Versuche der Medien, ihm das Image des vergnügungssüchtigen Regierenden Partymeisters zu verpassen, waren mäßig erfolgreich. Selbst als Wowereit Sekt aus einem roten Stiletto der Kabarettistin Désireé Nick schlürfte, wirkte die Empörung der Boulevardpresse über den dekadenten Partylöwen konstruiert – schließlich illustriert die BZ ihre Sexannoncen selbst mit einem knallroten Stiletto. Ein weiterer Versuch, eine Kampagne aus dem homophoben Arsenal zu inszenieren, verpuffte wirkungslos: Der Regierende Bürgermeister hatte für das jährlich in Berlin stattfindende internationale Fetisch- und Ledertreffen „Folsom“ ein Grußwort geschrieben. Bild und BZ druckten Fotos von halbnackten Männern in Uniformen, mit Hundehalsband und in Fetischkleidung. Versehen mit Überschriften wie „Alles schon ganz normal in Berlin? Tag der offenen Hose in Schöneberg“ sollte der Skandal richtig in Fahrt kommen. Wowereit konterte den Versuch, ihn mit homophoben Klassikern zu beschädigen, äußerst souverän: Anfangs sei er sich gar nicht so sicher gewesen, ob er überhaupt ein Grußwort für das Folsom schreiben solle. Nach dieser Kampagne aber sei er überzeugt, dass es sogar dringend notwendig sei.
Wer die im April 2014 vorgestellten Briefmarken der finnischen Post mit den Motiven der schwulen Ledermänner von Pornozeichner Tom of Finland gesehen hat, wird sich wohl vorstellen können, dass Kinder mittlerweile wieder mehr Angst vor dem Weihnachtsmann haben als vor einem schwulen Ledermann. Auch die versprochene Entzauberung der PDS, der Linkspartei, mit der der Regierende Bürgermeister 2002 eine Koalition einging, geht auf Wowereits Konto. Nachdem der rot-rote Senat 75.000 senatseigene Wohnungen der GSW an Heuschrecken verscherbelte, musste wirklich niemand mehr Angst vor dem Kommunismus haben – nicht einmal Immobilienhaie. Die Folge: Gigantische Mietsteigerungen bis heute ohne Aussicht auf ein Ende. Sexy war Berlin da schon – nun wurden die Berliner arm.
Das Image der queeren Stadt als liberale Utopie traf sacht auf eine politische Praxis der Ausschlüsse. Während die Linkspartei in der Folge die Hälfte ihrer Berliner Wählerschaft verlor, gelang es Wowereit 2011 erneut, die Berliner Wahl zu gewinnen. Statt mit den Grünen koalierte er überraschend mit der nun frisch regenerierten CDU. Für die Wahlkampagne ließ sich der altgediente Regierungschef von Kindern mit einem Stoffkrokodil in die Nase beißen – ein geniales Wahlplakat! Motto: Sich selbst nicht so wichtig nehmen, menschlich sein, sich verletzlich zeigen. Die Werbekampagne wirkte, er traf damit noch einmal das Lebensgefühl der Stadt.
Mit dem Desaster um den neuen Großflughafen hat das Image von Klaus Wowereit erstmals ernsten Schaden genommen. Was früher angenehm schnoddrig und schlagfertig klang, wirkt nun plötzlich arrogant, ruppig und unangemessen. Wowereits zweites populäres Bonmot „Berlin ist arm, aber sexy“ tönt angesichts der zunehmenden Zahl von Zwangsräumungen als Folge der rasanten Mietsteigerungen, der vielen Bettler, Obdachlosen und Flaschensammler auf den Straßen inzwischen eher zynisch als witzig. Plötzlich erinnert man sich auch wieder daran, dass der rechtspopulistische Bücherschreiber Thilo Sarrazin viele Jahre Finanzsenator unter Wowereit war, mit seinen dubiosen S-Bahn-Wettgeschäften über 150 Millionen Euro an Steuergeldern verzockte und zugleich in seinem Urlaub im Selbstexperiment den Hartz-IV-Ernährungssatz testete und für mehr als ausreichend in Talkshows präsentierte, inklusive Billigschrippen und Kartoffelsalat für 3,76 Euro am Tag.
Wowereits Image ist beim Gegenteil dessen angelangt, wofür es einst stand: ideenlos, verbraucht und verfilzt. Zum Volksentscheid über die Bebauung des einstigen Flughafengeländes Tempelhof, der zeitgleich mit der Europawahl am 25. Mai stattfindet, versuchen die Grünen nun, mit Wowereits Negativ-Image ihr eigenes aufzubessern, ohne dabei politische Konzepte oder „Armutspolitik“ zu thematisieren.
Zu sehen ist auf dem Plakat ein Klaus Wowereit in blauem Anzug und Blümchenkrawatte, wie er sich abgewerkelt und zugleich bräsig im Regierungssessel fläzt: mühsam nach hinten gestrichene Haarsträhnen, Mundwinkel gleiten abwärts, Arme abgestützt, die Hände baumeln schlaff herunter. Dazu die Frage: „Würden Sie diesem Mann noch einen Flughafen anvertrauen?“ So wird der Körper des Regierenden heute zur Gegenfigur der schönen neuen Welt, welche die Grünen auf ihren Plakaten zur Europawahl präsentieren. Als da wären: zwei bildhübsche Frauen aus Kroatien mit Heiratswunsch, eine verführerisch schöne Frau Typus „Orientalin“, als Flüchtling und Europäerin. Sowie eine nette ältere Frau aus Ungarn, die für Toleranz wirbt und selbstverständlich eine Kittelschürze trägt – gegen diese schöne neue Welt steht ein abgetakelter Wowereit. Bildbotschaft: „Ein alter Mann macht schlapp.“ Oder andersherum gefragt: Sieht ein tatkräftiger Volker Bouffier als Regierungschef im schwarz-grünen Hessen gegen einen solchen Klaus Wowereit nicht einfach fantastisch aus? Macht macht eben sexy.

Wolfgang Müller

Samstag, 23. August 2014

Wo bist du zuhause?

Foto: © Hans Erixon

Wo bist du zuhause? 

Schreibe auf eine Ansichtskarte, dass die Aussicht entzückend ist, es erfreut 
vielleicht jemanden. 

Dass der Herbst hoch ist und klar wie der Anblick von Quellwasser. 

Erwähne, dass die Schafstelze nach Süden über den Hofplatz davon rannte

Rufe, dass alles wie früher ist; dass Nesseln, Mädesüss, 
Himbeerdickicht, Wald-Engelwurz... 

Schreibe, dass der Tod hier rein zufällig zuhause ist. 

Wenn du einkehren willst, musst du still sein. 

Du wirst gesehen, wenn nötig. 

Schreibe, bitte sehr. 

Nur keine Bange.


Bengt Emil Johnson


(Übersetzt aus dem Schwedischen von Lukas Dettwiler)

Die Edition Zuhause von Bengt Emil Johnson, übersetzt von Lukas Dettwiler - mit Fotos von Hans Erixon und einer Originalarbeit von Hartmut Geerken erscheint demnächst im Hybriden-Verlag)

Sonntag, 10. August 2014

Carlos Castaneda

H.A., Der Freizeit-Schamane (erscheint Herbst /Winter 2014)

Als junger Mann saß mir auf einer Bahnfahrt nach Kassel ein junger Mann gegenüber. Der kam aus Bolivien und sagte, dass er immer ein Messer bereit hält, dass er in seinen Stiefeln verstecken würde. Dann meinte er unvermittelt zu mir, ich würde ihn an Carlos Castaneda erinnern. Er gab vor ihn zu kennen. Vermutlich ein Spinner. 

Das war Ende der 1970er Jahre. Jeder, den ich kannte, kannte die Bücher von Castaneda. Don Juan Matus, der toltekische Schamane, wurde legendär. Die Welt, in die man beim Lesen eintauchte, war fremdartig, phantastisch, eine andere Wirklichkeit neben den konstruierten konventionellen Wirklichkeiten. 

In diesen ersten Büchern versuchte sich Castaneda als seriösen Anthropologen und Ethnologen vorzustellen, der Feldforschung in der Wüste von Sonora und anderswo betrieb. Für sein Buch „Die Reise nach Ixtlan“ bekam er sogar einen Doktortitel.

Spätestens hier wurde die Öffentlichkeit misstrauisch, was ein wenig merkwürdig erscheint, da schon für fragwürdigere Arbeiten Doktortitel vergeben wurden. Waren diese Berichte authentisch? Existierte Juan Matus oder Genaro Flores wirklich? Gibt es überhaupt einen Peyotl-Kult bei den Yaquis? Und es mehrten sich die Stimmen, die Castaneda als Betrüger und Scharlatan entlarven wollten. Man hatte dafür den Begriff des New-Age-Gurus. Castaneda war nicht mehr seriöse Wissenschaft sondern Esoterik.

Seriöse Wissenschaft und Esoterik, die sich seriös gibt – beide Bereiche können einem ziemlich auf die Nerven gehen. Was heute empirisch bewiesen erscheint, kann in 50 Jahren schon völliger Unsinn sein. Die Wissenschaftsgeschichte ist voller Beispiele. Andererseits versucht sich die Esoterik seriös zu geben, was oftmals ziemlich peinlich ist. 

Und Castaneda hat natürlich Nacheiferer. In dem Internetforen tauschen sich Adler-Wolfgang und Nagual-Wilfried mit einem Hobby-Gehirnforscher über den Sitz des Montagepunkts aus. 

Und? Entsprechen die Berichte von Carlos Castaneda über Juan Matus, anorganische Wesen, leuchtende Eier, Mescalito und den Fliegerwesen, denen die Menschen als Nahrung dienen nun der Wahrheit? Das ist eigentlich gar nicht wichtig. Castaneda ist ein Bestseller-Autor und seine Bücher sind in erster Linie einfach gut geschrieben. Wenn seine Berichte wahr sind, so sind sie hervorragende Dokumentationen. Entsprechen sie seiner eigenen Suggestion, sind sie einfach genial. 

Man weiß nicht so recht und die Fragen bleiben ungeklärt. 1998 starb der Autor an Leberkrebs und seine Mibewohnerinnen verschwanden daraufhin spurlos. In der Wüste von Nevada fand man nach Jahren ein menschliches Skelett, das man seiner Adoptivtochter zuordnen konnte. 

Der Mythos Castaneda begann in der Wüste und endete in der Wüste. Eigentlich ein Stoff für Hollywood. Ein filmischer Castaneda-Zyklus könnte in der Liga von "Harry Potter" oder dem "Herrn der Ringe" spielen. Aber niemand scheint sich da wirklich heranzutrauen. Dafür ist Castaneda dann doch zu speziell. 

BBC-Dokumentation: 
https://www.youtube.com/watch?v=hlI2gvSjJ4Q