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Dienstag, 1. Juli 2014

Beschreibung meiner Braut



Welches Dasein! Ich kleidete mich in Sonnen, gürtete mir die Milchstraße um! Welche Kraft! Ich bin ein elektrisches Fluidum, durchsternt ätherisch. Frucht, Frucht auf allen meinen Himmelsbahnen. Schwingung, Sehnen, Erfüllen. Ich riesele von Licht, ich bin überall, immer, alles in allem ... Eines Nachts gegen eins – ich schlief im Umfange eines Planetensystems – höre ich in einem meiner Myriaden Ohren (meine Lokalisationsreflexe funktionieren exzellent) mich flehentlich genannt werden, in einem hinsterbenden Seufzer, den ich aber doch für eine Frechheit hielt: „Mein Seelenbräutigam!“ Wie wurde mir so übel! War ich, aus, Versehen, in irgendeiner meiner parties honteuses verlobt? Trotz dem scharfen Sicherheitsdienst meiner kosmisch trainierten Organe? – Und nochmals ertönte, hinsterbender noch, jener impertinente Anruf: „Mein Seelenbräutigam.“ Da riß mir die Geduld. Ich orientierte mich dynamisch – und siehe da, auf irgendeiner Winkelplanetenoberfläche stand eine in Abteilungen dividierte Kiste, „Haus“ genannt. In einer der Zellen dieses Hauses lag, auf einer dürren Pritsche, ein kleiner Gegenstand von länglicher Form, wenig mehr als ein Meter lang, aber nur etwa ein Drittelmeter breit und noch weniger dick. An dem einen Ende seiner Länge saß etwas Kugelähnliches, fast ganz mit einer strahlenartigen, fadenförmigen, blonden Masse bedeckt. Der Teil der Kugel, welcher frei von dieser Masse war, enthielt eine Art Loch von rötlicher Färbung. Inwendig in diesem Schlunde saß ein kleiner roter Körper, der sich gegen kleine elfenbeingelbe Stückchen bewegte und dabei die Töne hervorbrachte, welche mich in meiner Himmelstrunkenheit so sehr gestört hatten: „Mein Seelenbräutigam!“ erklang es wieder. Dabei zuckte der ganze längliche Apparat in der wunderlichsten Weise. Ja, seine Länge richtete sich halb aufwärts im rechten Winkel zur unteren, und ich bemerkte jetzt erst, daß die untere Länge in zwei zylinderartige Formen gespaltet war, und daß an der oberen Länge ähnliche, nur kleinere dünnere, Längskörper zum Vorschein kamen und seltsam ausgespannt wurden. – Dieses sonderbare Ding, obgleich es mich ja gar nicht wahrnehmen konnte, nannte mich also Bräutigam. Nicht genug aber damit! Über dem kleinen Schlunde saß ein bleicher Gipfel, Giebel oder Vorsprung, und über diesem rechts und links zwei kleine glatte, bläuliche, eigentümlich rollende Kugeloberflächenteile. Die Töne, mit denen es mich Bräutigam nannte, gingen in eine ganz andere, widerwärtig quietschige Lage über, und zugleich sickerte aus dem Giebel sowie aus der Umgebung jener bläulichen Globen eine tropfenartige helle Flüssigkeit. Der eine obere Längskörper drückte eine weiße, lappenartige Substanz dagegen und auf den Schlund, so daß nun die Töne ganz dumpf hervordrangen. Damit aber noch nicht genug, – das ganze corpus streckte sich senkrecht in die Höhe, bewegte sich auf den unteren getrennten Längskörpern von der Pritsche und fiel dann mit einem ziemlich lauten Geräusche um, etwa ein dutzend Mal „Seelenbräutigam“ ausstoßend. Dabei nahm ich die mir bis dahin verborgene Seite des Blockes wahr, nämlich diejenige, worauf er gelegen hatte; sie unterschied sich, wie es schien, wenig von der entgegengesetzten. Es fiel mir nur auf, daß zwei buckelartige Erhöhungen auf der einen Seite oben, auf der entgegengesetzten dagegen unten angebracht waren. Die Seitenflächen, einander ähnlich, waren viel schmäler. Ich behorchte und auskultierte nun diesen Körper und fand ihn von einem kurztaktigen Rhythmus erschüttert. Wie aber käme eine Uhr dazu, statt die Stunde zu schlagen, mich Bräutigam zu rufen?! Echtes, eigentliches Leben, das wußte ich, hatte niemand als ich allein. Es war also offenbar einer meiner magischen Reflexe und Echos, wodurch ich hier gleichsam Schabernack mit mir selber trieb. Diese Art treffe ich mitunter auf Planetenoberflächen; fühle mich unangenehm, ungezieferhaft davon berührt. Eine Sekunde später erblickte ich aber einen sehr ähnlichen Körper, dicht vor der „Hauskiste“. Dieser Körper unterschied sich von dem anderen besonders dadurch, daß er auch über und unter der schlundartigen Öffnung und zu deren Seiten mit jener faden- oder strahlenförmigen Masse bewachsen war. Diesem Körper spürte ich einen magnetischen Zug zu jenem ersteren sehr deutlich an. Es war mir ein erwünschter Wink, dem Spuk ein Ende zu bereiten. Ich lenkte mit meiner gesammelten inneren Kraft jenen „Seelenbräutigam“ tönenden Körper zum Sturz aus der Hauskiste, um ihn mit jenem magnetischen Körper zu vereinigen. Tatsächlich fiel der Körper sehr geschickt mitten auf den anderen hinab. Beide Körper gerieten dabei aus der senkrechten mehr in die horizontale Lage, worin sie nur noch ein einziger zu sein und innigst aneinander zu haften schienen. Die verdammten Seelenbräutigamsgeräusche hörten sofort auf, wurden aber durch mir viel sympathischere, mehr schmatzige und zietschende ersetzt. Ich will mir dieses Mittel merken, falls noch einmal sich ein länglicher Körper für meine, der Seele, Braut halten sollte. Überhaupt Körper! Sie stören mich sonst nicht, aber wenn sie nicht ehrlich Körper, sondern lebendig, wohl gar liebevoll tun wollen, sind sie mir, ich kann es nicht zu Ende sagen, wie schauerlich, ekelhaft, tödlich zuwider. Glücklicherweise vermag ich sie, wie im besagten Falle, durchaus wieder zu mechanisieren. Denn ich bin das elektrische Fluidum, durchsternt ätherisch: Frucht, Frucht auf allen meinen Himmelsbahnen. Ich riesele von Licht. Ich allein, ich allein bin die Seele, und die Körper tönen mich nur wider und sind auch dann nur Körper, wenn aus ihrem lächerlichen Schlunde Seelenlaute zu dringen scheinen.

(Mynona)


Der Sturm 9, Nr. 8 (15. Nov. 1918), 110; Ndr. in: Grotesken I, waitawhile 2008, 404 ff.

1 Kommentar:

  1. Schwingung. Sehnen. Erfüllung. 69. Ich gratuliere mir heute. Wolvieh.

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