Personen:
Herr Hölderlin
Radioreporter
Regie
Spot
Reporter: Meine Damen und Herren, wir befinden uns im
21. Stockwerk des Freizeitzentrums "happy familiy" – und
zwar auf dem Balkon von Herrn Hölderlin, der, wir haben
es bereits in der Vorschau angekündigt, heute Selbstmord
begehen will und wird. Und zwar wird sich Herr Hölderlin
in die Tiefe stürzen, was seinen sicheren Tod bedeutet.
Ueber uns nur noch der Himmel und der Whirlpool
des Freizeitzentrums... und jetzt sind wir beide, Herr
Hölderlin und ich ganz allein.
Herr Hölderlin hat mir freundlicherweise ein letztes Interview gewährt...
(wird leiser)
Herr Hölderlin, wie ist es denn gekommen, dass Sie keinen
Ausweg mehr sehen und Ihrem Leben ein Ende setzen
wollen ?
Hölderlin: (Unsicher)
Ich bin mir eigentlich nicht mehr so sicher...
Reporter: Wie meinen Sie das ?...
Hölderlin: Naja.. . ich habe mir das alles noch einmal gründlich überlegt
und muss sagen, dass ich es nicht tun kann.
Reporter: Was können Sie nicht tun, Herr Hölderlin ?...
Hölderlin: Na eben, mich umbringen. In die Tiefe stürzen. Aufprallen.
Mausetot sein.
Reporter: Sie haben also nicht die Absicht, sich umzubringen ?...
Hölderlin: Nein.
Reporter: Aber Herr Hölderlin - was ist passiert ?
Hölderlin: Ich glaube, das ist keine Lösung...
Reporter: Regie ! – Bitte einen Spot !
Spot: „Nervös ? Abgespannt ? Sie sehen keinen Sinn mehr ?
Dann nehmen Sie "Happy Pronto" ! Ein Dragée jede halbe
Stunde und die Sorgen verschwinden mit einem Schlag !
"Happy Pronto" – für den modernen Mann und die selbst-
bewusste Frau ! Weil wir es uns wert sind !“
Reporter: Wir sind wieder vor Ort und unterhalten uns mit Herrn
Hölderlin, der keinen Sinn mehr sieht ...
Hölderlin: Eben doch ! Ich sehe ihn wieder, den Sinn, meine ich.
Reporter: Aber Herr Hölderlin, machen Sie sich nichts vor.
Sie sind praktisch ein toter Mann.
Vor ein paar Sekunden hatten Sie doch mit dem Leben
abgeschlossen !
Hölderlin: Mit mir ist eine Wandlung geschehen.
Reporter: (Etwas verärgert)
Soso, eine Wandlung.
Was für eine Wandlung, bitteschön ?
Herr Hölderlin ! Wir sind live auf Sendung !
Jede Sekunde zählt - vergessen Sie das nicht !
Hölderlin: Es tut mir leid ... aber ich kann es nicht tun.
Reporter: Achja - Sie können es nicht tun.
Regie - - einen Spot !
(Im Hintergrund läuft wieder der gleiche Spot während sich der Reporter leise mit Herrn Hölderlin unterhält)
Denken Sie doch an Ihre Familie. Muss ich Sie auf unsere
schriftliche Vereinbarung aufmerksam machen ?
Sie haben im Beisein Ihres Anwaltes einen
rechtsgültigen Vertrag unterschrieben, wonach der vereinbarte Betrag an Ihre Frau erst überwiesen wird,
wenn Sie auf dem Pflaster liegen.
Erfüllen Sie also bitte den Vertrag.
Wir haben nicht ewig Zeit. Ich kann Ihnen sagen, andere
Menschen, die in Ihrer Lage sind, würden sich die Finger
lecken bei einem derart lukrativen Angebot eines Senders,
Herr Hölderlin !
Hölderlin: Jaja, ich weiss... aber ich kann nun mal nicht –
überall die Leute da unten – was rufen die denn ?
Reporter: Dass Sie endlich springen sollen – was sonst !
Hölderlin: Mit meiner Frau hab ich mich wieder versöhnt.
Sie hat mir verziehen, dass ich mit dem letzten Roman keinen Bestseller gelandet habe...
Reporter: Herr Hölderlin, wenn eine Ehe nicht mehr funktioniert, dann
ist das endgültig. Die Probleme werden wieder auftauchen –
in den ersten Wochen gibt man sich wieder Mühe, hält
ein freundliches Lächeln für den Partner bereit, um ihn bei
Laune zu halten. Aber das ist nur Fassade. Das Leben ist
eine schöne Fassade – das sollten Sie eigentlich wissen,
Sie bekommen die einmalige Chance, sich einem breiten erwartungsvollen Publikum vorzustellen.
Die Leser werden Ihre Bücher kaufen wie verrückt – aber was machen Sie ? Im letzten Moment ziehen den Schwanz ein.
Das hat doch keinen Stil !
Regie: Sollen wir rübergeben ? - - Wir haben einen Familienvater,
der droht seine Familie...
Reporter: Wartet noch einen Moment ... ich glaube, er ist bald
soweit...
Hölderlin: Ich habe eine Idee für ein Exposé...
Ein Wissenschaftsschriftsteller findet, nach vielen privaten
Tiefen und beruflichen Erniedrigungen, wieder zu sich selber,
glaubt an die Zukunft, seine Frau kehrt zu ihm zurück ...
Reporter: Das reicht. Das Publikum will das nicht hören.
Es will Action !
Wann begreifen Sie das endlich ?
Hölderlin: Bis zur nächsten Buchmesse wird das Buch fertig !
Reporter: Denken Sie eigentlich nur an sich selber ?
Sind Ihnen Ihre Mitmenschen völlig gleichgültig ?
Und ich - bin ich denn niemand ?!
Ich habe Frau und zwei Kinder. Internat, Ferien, das Haus,
zwei Autos, eine Freundin... was meinen Sie, was das alles kostet ?!
Meinen Sie, es sei leicht für mich, über Mörder, Selbst-
mörder, Vergewaltiger und korrupte Politiker zu berichten ?
Da braucht es ein dickes Fell !
Hölderlin: Jaja, das tut mir auch leid.
Reporter: Dann seien Sie ein Mann !
Uebrigens, Ihre Frau betrügt Sie mit dem Cheflektor...
Hölderlin: Dann habe ich keine andere Wahl...
(Er springt – ein Aufschrei geht durch die Menge)
Regie: Alles in Ordnung ?...
Reporter: Jaja.
Eigentlich kein übler Kerl... privat, meine ich.
Was ist mit dem Familienvater ?...
Regie: Zu spät.
Reporter: Na dann.
Einpacken !
(Fritz Sauter)