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Montag, 23. März 2015

Magdalenas alte Tante Maria


Magdalena sagt, dass ihre Tante Maria eine merkwürdige Frau gewesen ist. 
Die Leute haben hinter vorgehaltener Hand über sie geredet.
Sie kam nie zum Gottesdienst.
Wieso sie nicht zur Kirche ging, wurde sie gefragt.
Wieso sie einen Mann anbeten solle, der schon lange tot ist, fragte Maria zurück.
Magdalena sagt, es verkehrten auch Männer in der Wohnung der Tante. 
Einige Jahre schrieb sie einem älteren, höher gestellten Mann.
Sie schickte ihm auch selbst gebackene Aprikosenplätzchen, Törtchen und kleine Bildchen, die sie in den Nächten in ihrem Schlafzimmer malte.
Auf ihrem Balkon pflanzte sie Margeriten, Veilchen und Nelken, die sie im Sommer trocknete und im Herbst zwischen die eng beschriebenen Seiten der Briefe legte.
Eine Weile liess sich der Mann von Maria umwerben.
Dann begann der die Briefe und Geschenke zurück zu schicken.
Später verliebte sich Maria in einem verheirateten Mann.
Auch dem verheirateten Mann gab Maria ihre Liebe Preis.
Magdalena sagt, dass die Leute mit bösen Zungen über die Tante sprachen.
Aber Maria machte weiter.
Sie sagte, dass Leben sei zu kurz, um es nicht zu tun.
Obwohl Maria eine hübsche anziehende Frau gewesen war, blieb sie ein Leben lang ledig.
Als sie starb, fand Magdalena in ihrer Wohnung unzählige Briefe und Geschenke, die Maria nicht habe loswerden können.
Jede Liebe hatte ihre eigene Holzkiste.
Sie war bis zum Rand vollgestopft mit Briefen, vertrockneten Blumenköpfen und schimmelnden Marmeladenplätzchen.

Lea Draeger

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