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Mittwoch, 18. Februar 2015

Interdisziplinär, vernetzt - mit simulierter Authentizität


Es gibt einige Modeworte, die immer wieder im kulturellen Kunstkontext auftauchen. Das eine ist „interdisziplinär“ und verspricht eine Synthese von künstlerischen oder wissenschaftlichen Ergebnissen und Aussagen. Kunst ist hingegen überhaupt keine Wissenschaft und hat in den verschiedenen empirischen Untersuchungsmethoden der Wissenschaft überhaupt nichts verloren. Was bei der Kunst „visionär“ sein kann, ist in der Wissenschaft meistens nur peinlich. 

Gemeint ist in der derzeitigen Subkultur vermutlich etwas anderes. Wir sind eine Open Community und betreiben Wissens-Sharing; gleichgültig, ob jemand Atomphysiker, Ornithologe, Autor, Kurator, Kritiker, Kunstmanager oder Bildender Künstler ist – Hauptsache die Grenzen werden überschritten und nicht erforscht. So ist der Kurator einer Ausstellung ein wichtigerer Künstler als der Künstler, der in der Ausstellung vertreten ist – was per se ein großer Unsinn ist. 

Da sich Kunst in der bürgerlichen Wahrnehmung auch immer gut für Dekor und Emblematik eignet, liegt es auf der Hand, dass sich öffentliche (Wissenschafts)Einrichtungen gern mit „interdisziplinären Projekten“ schmücken. Ob nun Ausstellungen im Botanischen oder Zoologischen Garten oder Hochzeiten in der Sternwarte, – beides bewegt sich im Grenzgebiet mangelnder öffentlicher Aufmerksamkeit und klammer Kassen. 

Was in der Off-Off-Kunst mit „Interdisziplinär“ gemeint ist, bedeutet das Nebeneinander von Teilaspekten, denen man eine visionäre Aura verleihen will. (Kunst und Neurologie, Hirnforschung und Kunst etc.). Dabei bedingt Interdisziplinarität die Synthese verschiedener Teilaspekte, ein reines Nebeneinander dieser Aspekte reicht hierfür nicht aus. 

Ein weiteres Mißverständnis ist der Begriff „vernetzt“. Das medizinische Adäquat findet sich in der Neurologie. Und Teile der subventionierten Hirnforschung untersuchen die Wirkung der Werbung auf bestimmte Hirnareale im CT, um das Produkt-Placement zu optimieren. 

Wohin wir auch gehen, worüber wir auch reden – eine Schleimspur des Konsums wird uns folgen. Eine moralische Aufgabe kritischer Kunst könnte es nun sein, sich in diesem Sinne nicht mehr zu vernetzen, Freundesanfragen zu ignorieren, aus dem permanenten Werbeblog auszusteigen und die sozialen Netzwerke als das zu identifizieren, was sie wirklich sind: asoziale Netzwerke. 

„Vernetzte Künstler“ mit ihren „interdisziplinären Projekten“ sind in diesem Sinne Teilaspekte einer unaufhörlichen Werbesignatur. 

Mit einem Freund sah ich mir eine Performance von Blixa Bargeld an - aus jüngerer Zeit. Und etwas später schaute ich noch einen Film unter der Bezeichnung „Vocal Art“, wobei die Performance mit „Vocal Art“ nichts zu tun hatte. Es wurden läppische Anekdoten über Kassettenrecorder aus dem letzten Jahrhundert erzählt, elektronische Rückkoppeliungsspielerien mit 50 Hz (oder mehr?) inszeniert und über ein Gedicht von Hans Arp schwadroniert, "das man bei Google garantiert nicht findet". Das Publikum lachte an Stellen, die ich überhaupt nicht witzig fand. Nun gut, Fans wahrscheinlich. 

Jenseits aller Häme fand ich das eher nur traurig. Was war das nun? Konzeptkunst, Performance, experimentelle Musik, Vocal Art? Von allem ein bisschen? Nein, nichts. Und dennoch ein interessantes Phänomen, was die Simulation von Authentizität angeht. 

Kann man etwas werden, wenn man nichts oder wenig kann? Ja, das geht. Die „Einstürzenden Neubauten“ waren die subkulturellen Meister des Eklektizismus. Sie waren weder Musiker noch Konzeptkünstler. Als Künstler waren sie zu schlecht und für wirklich schlechte Musik auch wieder zu gut. Damals genügte es, Krach zu machen, Heroin zu nehmen und Artaud zu zitieren um Genialität zu simulieren. Und das Feld aufladbarer Ikonen erschien grenzenlos: schizophrene Kunst, Dandyismus, Theater der Grausamkeit. Alle Aktionen als ein „als ob“ – Authentizitäts-Simulationen. 


Wenn der Simulator authentisch sein will, muss er seine Simulationen dementieren. Was bleibt ist das Dementi seiner Kunst, was einer wirklichen Tragödie gleichkommt. 

H.A.

(Auch eine Performance. Und gar nicht mal schlecht:)
https://www.youtube.com/watch?v=EpO6qagM8ZA

Montag, 16. Februar 2015

Abu Bakar auf dem Obersalzberg


Hitler liebte Hausmusik im engsten Kreise zur privaten Unterhaltung und zur Unterhaltung von Gästen auf dem Obersalzberg. Gerade zu dem Zeitpunkt, als Hanfstaengl die Bühne auf dem Obersalzberg verließ – Anfang 1937 – kommt ein weiterer Hauspianist ins Spiel, ein Künstler aus Java, der danach längere Zeit auf dem Obersalzberg wohnte und Hitler und Eva Braun mit seinen Klavierkünsten unterhielt. Der Journalist Iwan Ong Santosa und seine Mutter erinnern sich:

Anfang der 1990er Jahre wollte die Mutter von Iwan Ong Santosa ein Haus in Bogor in West-Java kaufen. Ihr wurde ein Haus in der Jalan Tajur angeboten. Iwan Ong Santosa, damals etwa 18 Jahre alt, begleitete seine Mutter zu einem ersten Besichtigungstermin. Das Haus machte einen etwas heruntergekommenen Eindruck, aber nach einer Renovierung hätte es ihren Ansprüchen genügt. Besonders gefiel ihnen der – ebenfalls etwas vernachlässigte – Garten. Die Mutter zeigte Interesse und es folgten noch weitere Verhandlungstermine in dem Haus des Eigentümers. Iwan Ong Santosa war von dem Hausherrn, seinen Erzählungen und der Einrichtung im Wohnzimmer des Hauses so beeindruckt, dass er seine Mutter bei jedem weiteren Besuch dorthin begleitete.

Der Hauseigentümer war ein gewisser Abu Bakar. Er war ein kleiner untersetzter Mann mit einem grauen Lockenkopf – so, wie ihn Albert Einstein hatte, eine echte Künstlernatur. Er gab Privatunterricht für Klavier und Violine und er konnte sich mit den Einnahmen gerade so über Wasser halten. Damals war er vermutlich schon an die 80 Jahre alt. Seine Hautfarbe war relativ hell, vermutlich die eines Indos, eines Mischlings. Was den jungen Iwan Ong Santosa besonders interessierte, war das Wohnzimmer. Das Möbelstück, das den großen Raum dominierte, war der mitten im Raum stehende mächtige Flügel. Violinen standen in den Ecken des Raums. Die Wände waren rundum mit vielen Fotos und Ausschnitten aus indonesischen und deutschen Zeitungen gepflastert. Sie zeigten Abu Bakar mit Hitler und Abu Bakar am Flügel spielend, mit Hitler und Eva Braun daneben. Abu Bakar habe stolz erzählt, dass er 1937 und während des Krieges in Deutschland gelebt habe, die längste Zeit davon in einem Nebengebäude von Hitlers Residenz auf dem Obersalzberg. Hier wäre er regelmäßig mit Hitler und Eva Braun zusammengetroffen, wenn sie am Abend bei seiner Musik Ent- spannung suchten. Als Junge war Iwan Ong Santosa tief beeindruckt, denn Hitler übte damals auch auf ihn – wie auf viele Indonesier – eine große Faszination aus.

Letztendlich kam der Hauskauf doch nicht zustande. Abu Bakar galt als sehr exzentrisch. Als die Verkaufsverhandlungen schon ziemlich weit fortgeschritten waren und kurz vor einem Abschluss standen, wollte er plötzlich sein trautes Heim doch nicht verkaufen. Die Mutter von Iwan Ong Santosa entschied sich für ein anderes Objekt. An mehr Details konnten sich Mutter und Sohn nicht mehr erinnern. Ich aber wollte noch mehr über Abu Bakar in Erfahrung bringen!

Im September 2011 begab ich mich mit Herrn Iwan Ong Santosa auf Spurensuche in Bogor. Zu der Zeit, als ich noch in Indonesien lebte, führte eine schmale Straße über Tjimanggis (heute: Cimanggis) nach Bogor, auf der man regelmäßig durch viele Verkehrstaus aufgehalten wurde. Heute gibt es eine Mautstraße mit Autobahncharakter, auf der man in einer halben Stunde im etwa 45 Kilometer entfernten Bogor ist.

Das Haus von Abu Bakar in der Straße Jalan Tajur war verschwunden. Wir fanden nur noch einen verwilderten Garten mit hohen Bambusstauden, Bäumen mit riesigen Papayas und ein paar Kokospalmen vor. Die älteren Nachbarn und ein pensionierter Verwaltungsbeamter des Distrikts wussten aber noch einiges über ihn: Abu Bakar sei um 1994 aus dem Haus ausgezo- gen und habe es an den jetzigen Nachbarn, einen Kraftfahrzeughändler, verkauft. Zu der Zeit sei er schon sehr alt gewesen und sei vermutlich in Jakarta in einem Altersheim verstorben. Abu Bakar war sein Leben lang Junggeselle und er sei im Alter sehr einsam gewesen. Verwandtschaft wurde nie bei ihm gesehen und es wurde vermutet, dass er keine Verwandten in Indonesien hatte. Seine einzige Ablenkung von der Einsamkeit seien das Klavierspiel und der Klavier- und Geigen-Unterricht gewesen. Bis zu seinem Auszug hätte er Jugendliche in seinem Haus unterrichtet.

In den 1930er Jahre sei sein Leben allerdings viel aktiver gewesen. Er sei oft auf verschiedenen Plantagen rund um Bandung engagiert worden, um dort für die einsamen weißen Pflanzer und deren Familien, gegen eine Entlohnung Klavier-Konzerte zu geben. Hauskonzerte dieser Art waren damals bei den Plantagenverwaltern allgemein üblich und beliebt.

Abu Bakar war – wie von Herrn Iwan Ong Santosa richtig vermutet wurde – ein Indo, ein Mischling von einem islamischen Vater aus Westjava und einer holländischen Mutter. Dies erklärte auch seine hellere Hautfarbe. Diese hellere Hautfarbe war unter den gebräunten Menschen eigentlich sehr wertvoll und geschätzt. Schwangere Frauen aßen sogar Safranblüten und Blätter der Hibiskusblüten, da nach einer alten Überlieferung die Kinder dadurch hellhäutiger werden würden. Auch in Apotheken werden bis heute Cremes und andere Mittelchen hergestellt, um die dunkle Haut zu bleichen.

Im Netzwerk der indonesischen Gesellschaft saßen die Mischlinge jedoch immer zwischen zwei Stühlen: Von den weißen Niederländern wurden sie nicht für voll genommen und mussten um Anerkennung kämpfen; unter den Einheimischen wurden sie als überheblich und eher der weißen Rasse zugetan eingestuft. Für Indos war es weit schwieriger auf der gesellschaftlichen Leiter nach oben zu kommen als für die Blanken, wie die ‚Weißen‘ von den Einheimischen genannt wurden. Die Indos bekamen nur selten von den Blanken und von den Einheimischen Anerkennung. Wie Abu Bakar wurden diese Menschen oft von Einsamkeit geplagt. Daher war seine Gastrolle bei Hitler für ihn etwas ganz Besonderes.

Wie die Nachbarn erzählten, hätte Abu Bakar im Alter immer wieder stolz von seinem Aufenthalt bei Hitler auf dem Obersalzberg erzählt und Fotos mit Hitler und Eva Braun gezeigt. Nach den Erzählungen der Nachbarn schien dies die wichtigste Periode seines Lebens gewesen zu sein.

Leider waren die Fotos und Zeitungsausschnitte bei unserem Besuch in Bogor verschwunden. Kontaktpersonen oder Anhaltspunkte über seinen letzten Aufenthalt konnten wir nicht in Erfahrung bringen. Vermutlich sind diese Zeitdokumente mit Abu Bakar ins Grab gegangen, oder beim Abriss seines Hauses unter den Trümmern begraben worden.

Aber wie kam Abu Bakar nach Deutschland zu Hitler und durch wen? Diese Frage kann wohl nicht mehr eindeutig geklärt werden. Aber der Schlüssel zu dieser Antwort kann meiner Ansicht nach nur bei Walther Hewel liegen. Hewel lebte bis zum Jahre 1936 auf der Plantage ‚Neglasari Estate‘ bei Garoet (heute: Garut) in Westjava, nicht weit von Bandung entfernt. Hewel war ein großer Freund von klassischer Musik. An mehreren Stellen seines Tagebuches findet man Hinweise dazu. Liegt es da nicht auf der Hand, dass Hewel bei Konzerten auf der von ihm verwalteten Plantage Abu Bakar kennenlernte und nach Deutschland kommen ließ? Denn nur kurze Zeit nach Walther Hewel verließ auch Abu Bakar Niederländisch-Indien mit dem Ziel Deutschland. Wenn Hewel vor seiner Abreise aus Niederländisch-Indien erfuhr, dass Ernst Hanfstaengl geflüchtet war, hätte er noch alle Vorkehrungen für eine Übersiedlung Abu Bakars nach Deutschland treffen können.

Hewel war, wie anscheinend auch Abu Bakar, meist auf dem Obersalzberg. Bei privaten Filmaufnahmen, die Eva Braun dort machte, ist immer wieder Walther Hewel mit Hitler oder Gästen zu sehen. Einen Indonesier habe ich auf diesen Aufnahmen nie entdecken können. Zufall oder wollte man Abu Bakar nicht zeigen? Ein Nicht-Arier und dazu noch ein Mischling in Hitler Nähe? Das wäre doch unerhört gewesen! Andererseits hatte Abu Bakar gegenüber Hanfstaengl auch große Vorteile: Abu Bakar war neutral. Er sprach wohl Niederländisch, konnte aber kaum verstehen, was im ‚Inneren Kreis‘ gesprochen wurde. Nur mit Hewel konnte er sich in seiner Landessprache verständigen.


Nach 1950 kam Abu Bakar wohlbehalten in seine alte Heimat, nach Indonesien, zurück. Reich ist er durch seine musikalische Unterhaltung der Nazi-Elite nicht geworden, aber er war in Bogor durch seinen Aufenthalt in der Umgebung von Hitler hoch geachtet und seine Erzählungen über Hitler und den Obersalzberg wurden in der Nachbarschaft immer gerne gehört.

Text aus: Horst H. Geerken, Hitlers Griff nach Asien. Zwei Bände, Books on Demand, 2015

Montag, 2. Februar 2015

Pierre Garnier – Ein Kinderbuch



I forgot that I have forgotten Pierre Garnier

Ich habe vergessen, dass ich Pierre Garnier vergessen habe

Me olvidé de que he olvidado Pierre Garnier

Je ai oublié que je ai oublié Pierre Garnier


But Pierre Garnier you can not forget

Aber Pierre Garnier kann man nicht vergessen

Pero Pierre Garnier no se puede olvidar

Mais Pierre Garnier vous ne pouvez pas oublier


His thoughts move to the clouds go

Seine Gedanken ziehen in den Wolken dahin

Sus pensamientos se mueven a las nubes van

Ses pensées se déplacent vers les nuages vont


In the clouds appear images

In den Wolken erscheinen Bilder

En las nubes aparecer imágenes

Dans les nuages apparaissent images


A church, a village

Eine Kirche, ein Dorf

Una iglesia, un pueblo

Une église, un village


And behind the Atlantic Ocean

Und dahinter der Atlantische Ozean

Y detrás del Océano Atlántico

Et derrière l'océan Atlantique


Deep blue under black sky

Tiefblau unterm schwarzen Himmel

Azul profundo bajo el cielo negro

Bleu profond sous le ciel noir


Ocean and sky

Ozean und Himmel

Océano y el cielo

Océano y el cielo


Ally two eternities

Verbündete zweier Ewigkeiten

Ally dos eternidades

Ally deux éternités


In one fear

In der einen die Angst

En un miedo

Dans une crainte


In the other, the desire

In der anderen die Sehnsucht

En el otro, el deseo

Dans l'autre, le désir


What if death is dead?

Was passiert, wenn der Tod tot ist?

Y si la muerte está muerto?

Que faire si la mort est mort?


Gold & Sold Artist Production, Pierre Garnier – Ein Kinderbuch. Für Pierre Garnier (9. Januar 1928 – 1. Februar 2014). Veröffentlicht in der Reihe MMM-Extraausgabe Nr. 31, Amsterdam – Berlin 2015 mit 6 Handschriften von Freddy Flores Knistoff sowie 6 Zeichnungen und 12 Sätzen von Hartmut Andryczuk.