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Sonntag, 9. September 2012

Hallelujah



Ich war noch nie in der Berliner Waldbühne, obwohl ich bereits seit 26 Jahren in dieser Stadt lebe. Für manche Menschen ist das nicht nachzuvollziehen. Die verpassen aber auch kein Konzert von Herbert Grönemeyer, Mark Knoepfler oder auch Neil Young. Heute spielt Leonard Cohen dort, wie beinahe jedes Jahr. Gegen den kann man eigentlich nichts haben, aber 65 Euro für ein Konzert mit Songs ausgeben, die man bereits alle in der iTunes-Bibliothek hat? Heute gehe ich einfach nur mit - sozusagen als begleitendes Geburtstagsgeschenk. Ich bin die zweite Gratis-Karte, wäre aber viel lieber Zuhause geblieben. Der Weg von Schöneberg bis zum Cohen-Konzert ist weit. Wir schließen uns der Herde an, die das Olympiastadion passiert und von dort aus noch ca. 10 Minuten zur Waldbühne braucht. Die Menschen in der Herde sind zurückhaltend, besinnlich, introvertiert. So stelle ich mir die Stimmung auf einer Wallfahrt vor oder eine Pilgerreise auf dem Jakobsweg in seiner Mini-Variante. Auch am Eingang zum Veranstaltungsort geht es gesittet und rücksichtsvoll zu. Niemand drängelt oder ist ungeduldig. Das Konzert hat schon angefangen. Wir haben Plätze auf den oberen Rängen. Von dort aus ist Leonard Cohen etwa 5 cm groß. Die Songs, die gespielt werden, sind allen bekannt, aber deswegen sind sie ja hier. Ab und zu ein neues Stück, sehr selten. Gelegentlich singt Cohen auf den Knien, was schon mal als Demutsgeste vor seinem Publikum interpretiert wurde. Wahrscheinlich hat er in dieser Haltung, die er lange in der Zen-Meditation praktiziert hat, mehr Kraft und Stabilität. Mittlerweile ist der Mann ja auch schon 77 Jahre alt. In der Dämmerung leuchten die Smartphone-Displays. Sie haben Wunderkerzen und Taschenfeuerzeuge abgelöst. Am Bierausschank sehe ich Ben Becker. Der sieht genauso schlecht aus wie im TV. Wahrscheinlich ist er sich bewusst darüber, Ben Becker zu sein und setzt eine dicke Sonnenbrille auf, obwohl die Sonne gerade unter geht. Den Promi haben neben mir auch zwei Frauen entdeckt. Die kommen aus Paderborn und ich mit ihnen ins Gespräch. Hat Paderborn Fachwerkhäuser? Wenige. Sie sind extra wegen des Cohen-Konzerts angereist. Das machen sie jedes Jahr so. Eine der beiden Frauen trägt weiße Leggings. Ich kann nicht mehr stehen, suche einen Sitzplatz abseits der Bühne. Es gibt keinen. Also gehe ich in den Wald, setze mich in das Laub und rufe einige E-Mails ab. Nichts besonderes: Amazon-Marketplace und ein Spendenaufruf von Michelle Obama. Das Konzert geht zu Ende. Cohen spielt "Hallelujah". Dabei erstrahlen die Scheinwerfer auf der Bühne in einem blendend weißen Licht. Wenn so das klare weiße Urlicht aussieht, worin man nach dem Tode eingehen soll, um erleuchtet zu werden, dann möchte ich lieber im Zwielicht bleiben. Eine Dame lächelt mich in einer Bude an und sagt etwas. Ich verstehe sie nicht und frage nach. Wollen Sie ein Fischbrötchen? Nein danke. 

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