In der September-Ausgabe der weit verbreiteten Zeitschrift JAZZPODIUM (kann in jeder Bahnhofs-Zeitschriftenhandlung erworben werden) ist eine Besprechung von Amadeus Sternklotz erschienen:
The International Waitawhile Sun Ra Conventions. Hybriden-Verlag, Berlin 2012 (mimas atlas # 12). 5 CDs und Booklet. Auflage 75 Exemplare. 50 €.
„Gelobt seien alle heiligen Verrückten, die an diesem Mythos teilhaben“, schrieb Konrad Heidkamp einmal über Sun Ra’s Collected Poetry, The Immeasurable Equation (2005). Und fügte hinzu: „Er ist wahrer als die Geschichte.“ Eine überwahre Geschichte sind nun auch die vor fast 20 Jahren von Hartmut Geerken begründeten Sun Ra Conventions. Das muß so etwas sein wie ein extrem zwangloser Verein von hardcore-Fans, Spezialisten, Zufallsinteressierten, Profis und exotischen Gästen. Was sich dabei an musikalischen Begegnungen, Gesprächen, Forschungen ereignete, ist hier zum ersten Mal für eine größere Öffentlichkeit dokumentiert. Dieses Künstlerbuch im DIN A 5-Format, grauer Karton, 3,6 cm dick, enthält 5 CDs und ein fadengeheftetes, schön gedrucktes Büchlein von 40 Seiten. Darin ein interessanter Text, „Neutral-Punkt – Ra-Rassismus“, in dem Detlef Thiel all die deutlich souveränen, aber auch verhüllt resignativen Äußerungen zur Situation der Schwarzen in Ra’s Poetry versammelt. Weiter sechs s/w-Fotos von Konzerten in Kairo, 1971. Drei Gedichte. Ein Foto: Geerken und Trudy Morse (Jahrgang 1917), die auf hohen Stapeln des legendären Omniverse-Werkes thront. Drei Einladungsschreiben zu Conventions. Oskar Pastiors Gedicht sun ra (1995). Benjamin Franklins (nicht der Blitzableiterer, sondern ein Jazzkritikus) Bericht in Coda (Juli/August 2003). Eine Original-Tuschzeichnung von Thiel. Drei Zeichnungen von Hartmut Andryczuk, dem ideensprühenden Verleger: John Cage meets Sun Ra. Das Foto einer Papierserviette mit Graphiken und Notizen von Ra’s Hand. Ein getippter Bericht über jenen Stromausfall im Bayerischen Rundfunk, April 1997, der die Nachproduktion von Geerkens polymedia-event no point fast vernichtet hätte. Eine Liste der 17 bisherigen Conventions, mit Tops, Teilnehmern, Kulinaria und Dokumenten. Ein Konzertplakat, Philadelphia 1985. Und das Verzeichnis der 5 CDs. Diese enthalten den akustischen output von vier Conventions. Trudy im karaoke-Rezital zur LP Lanquidity und mit freiem Gesang zu Geerken auf der Sun Harp (1999). Ausgewähltes Material aus Sanyang, Gambia (2002): nächtliche Klangbilder im Busch, Fledermäuse (ultra-sono!) und eigenartige Vogellaute; ein lokaler Dichter rezitiert; zwei griots tragen zum islamischen Neujahrstag ein langes Preislied auf Sunny vor (kora, voc, perc); Dorfkinder singen fröhlich „Space is the Place“ und „Nuclear War“; Palmweinversionen und mehrere Stücke des Sun Ra Tribute Trios (balafon, bolongbato, kongoma, voc, perc). Übrigens lassen sich hier tatsächlich die wahren Wurzeln des Jazz studieren, etwa die Funktionen des Bass, vor allem des balafon, das wie ein Piano zur Intro dient, die Soli ein- und ausleitet – „The inside of the tune (the bridge) is the part that makes the outside sound good“ (Thelonious Monk). Von den Rhythmen ganz zu schweigen. Strange Herrschings, inspiriert vom Album Strange Strings, vereint diverse Chordophone plus Tuba (2003). Bei spätnächtlichen Gong-Sessions im Freien agierten an die 20 Teilnehmer an Geerkens großer Sammlung (2006). Und zuletzt Trudy im Gespräch, sie erzählt von ihren ersten Begegnungen mit Sunny, von ihren Auftritten mit dem Arkestra in aller Welt, von Cecil Taylor, von ihrer love affair mit Marshall Allen, von Sunnys sogenanntem Tod im Krankhaus, den sie begleitete. – Hier überall ist nicht nur reine, also heilig verrückte Liebhaberei am Werk. Dazu ist der Fall Sun Ra viel zu gravierend.
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