Translate

Montag, 24. August 2015

Bruch (2)


A: Endlich einmal sind wir hier wieder einmal alle einmal zusammen versammelt!
B: Leider nicht, Max fehlt.
A: Jachgott, was soll man da machen?
B: Er hat sich ein Bein gebrochen.
A: Dieser Halunke!
B: Wieso Halunke? Mit Absicht hat er es sicher nicht gemacht.
A: Mit was denn dann? Wer bricht sich denn schon sein eigenes Bein einfach so?
B: Ein Ski-Unfall.
A: Nach einem Unfall hört es sich schon an, ein richtiges Fallen kanns ja nicht gewesen sein, also muss es ein Un-Fallen gewesen sein. Ist er zum normalen Fallen zu dumm? Glaube ich nicht. Nun, damit können wir uns jetzt hier nicht weiter aufhalten, wir wollten uns hier ja einmal wieder eher zusammenhalten als auseinanderhalten, nicht? Also: ich freue mich, dass ihr heute alle gekommen seid.
B: Nicht alle, Max fehlt.
A: Also, dass ihr alle ausser Max gekommen seid.
B: Freiwillig wars nicht. Sie hatten gesagt, wir müssten kommen, sonst bekämen wir keine Zeugnisse.
A: Das ist richtig.
B: Bekommt Max jetzt sein Zeugnis nicht?
A: Sicher nicht!
B: Aber er kann doch nichts dafür, wenn er im Krankenhaus liegen muss.
A: Er hätte sich das Bein ja nicht brechen müssen, hat ihn ja keiner dazu gezwungen.
B: Es war aber doch ein Unfall, da kann er doch nichts dafür!
A: Sicher kann er was dafür, wer denn sonst? Oder hat ihm jemand anders das Bein gebrochen? War er doch selbst, oder?
B: Aber so etwas will doch niemand!
A: Will niemand! Passiert  es aber jeden Tag xmal, dass sich jemand sein Bein oder gar beide bricht! Dauernd brechen sich die Leute ihre Beine, Tag und Nacht! Und du sagst mir, das will niemand?
B: Die Tatsache, dass es passiert, heisst doch noch lange nicht, dass man das will, was einem da passiert!
A: Ah nicht? Ihr wollt eure Zeugnisse, also seid ihr gekommen. Er will kein Zeugnis, also kommt er nicht. Natürlich weiss er, dass es ein schlechtes Zeugnis ist. Ein Halunke, sag ich ja.
B: Vorhin haben Sie aber gesagt: sowas macht niemand! Sich ein Brein brechen.
A: Natürlich nicht! Einfach so, um sich vor seinem eigenen schlechten Zeugnis zu drücken, das macht niemand, der einen klaren Verstand besitzt. Dieser Max ist ein ganz Gerissener, der hat das mit Absicht gemacht und alle, die sowas machen, die machen das auch mit Absicht, weil die dann da und dorthin nicht gehen wollen. Und so brechen sie sich die Beine, Tag für Tag und Nacht für Nacht, damit sie damit nicht gehen müssen, und nur, um sich vor etwas zu drücken oder gar um Mitleid zu erregen, bei den normalen Gehern. Und natürlich weiss er, dass sein eigenes Zeugnis schlecht ist. Wäre es gut gewesen, wäre er ja wohl gekommen, oder nicht? Wer will schon sein eigenes schlechtes Zeugnis sehen? Und wieso sollte er es auch noch selbst abholen? Er weiss ja wie schlecht sein Zeugnis ist. Er ist ja selbst Zeuge davon, hat es selbst gezeugt. Wozu braucht er es denn dann? Was soll er damit? Vor sich selbst hat er sein schlechtes Zeugnis schon abgelegt, er braucht es nicht. Er will nicht mein Zeugnis, er will das Zeug nicht! Es ist sein Zeugnis, aber ich stells ihm aus. Ich stells in die Ausstellungsvitrine, darauf kann er sich verlassen. Ich stell ihm das aus, auf dem Schulhof, damit es jeder, der noch zwei ungebrochene  Beine hat, es sehen kann und dann kann er aber was erleben. Da kann er sich soviele Beine wie er will, brechen – meine aber nicht, das werd ich zu verhindern wissen.
A räuspert sich, reibt sich die Hände, sagt zu B:
A: Morgen wird er Dir das Deine brechen, pass bloss auf!
B: Wieso sollte er das tun?
A: Damit Du es für ihn nicht abholen kannst, Du Dusel! Ist doch logisch! Klack! So schnell kannst Du gar nicht gucken, so schnell wird das gehn. Und so wird er es mit allen Leuten machen. Einem nach dem andern wird er die Beine brechen, er muss ja alle ausschalten, also die Beine brechen, damit sie es für ihn nicht abholen können: seinen Eltern, Geschwistern, Cousinen und Cousins, seinen Freunden, den Nachbarn, usw. Tag für Tag und Nacht für Nacht wird er schliesslich alle Beine, die ihm unterkommen, eines nach dem andern: brechen.
A blickt triumphierend ins Publikum:
So einer ist das. Ein Bein-, Bahn, Zahn und Wahnbrecher, der sich und allen andern nacheinander Zähne, Köpfe, Beine, Waden und was noch alles bricht.  Somit sicher auch nicht nur ein Eisbrecher, sondern genauso ein Einbrecher, der in den Schnee einbricht. Ganz skrupellos. Von der Herzensbrecherei wissen die hier anwesenden Damen sicherlich ein Lied zu singen. Wir müssen es uns einfach einmal klarmachen: all diese Brecher, Eis-, Bein- und so weiter Brecher, sind grundsätzlich ja eben Gesetzesbrecher und die werden folgerichtig zu was?
A blickt in die Runde:
C aus dem Publikum: Verbrechern!
A: Sehr gut! Eine Eins!
C: Danke!
A: Ein-, Wort-, Ver- und Herzensbrecher sind als Brecher die zu Verbrechern Werdenden. Im Werden Begriffenen. Ich habe das schon lange begriffen. Ihre Anfänge sind für jeden klar einzusehen: zuerst beginnen sie mit einem Bein, einem Arm, Glasbecher und Scheiben jeder Art. Beliebt sind auch Blumentöpfe aus Ton, Keramik also, von Porzellan nicht zu reden---! Sie brechen ein, sie brechen um, sie brechen aus, ja, bis sie, wenn alles in ihrer Umgebung bereits zerbrochen ist, alles in Scherben um sie herumliegt – sich selbst erbrechen. Jeder, der sich erbricht, trägt diese teuflische Saat bereits in sich, speit sie aus. Natürlich. Ihm selbst soll ja nichts geschehen, er will ja nur seine Umgebung, seine Familie, das Gesellschafts-System zerbrechen.
B: Aber Max hat sich doch sein eigenes Bein gebrochen!
A: Das ist ja der Trick! Zum Einen nützt es ihm – er braucht so nicht Zeuge seines eigenen schlechten Zeugnisses zu werden, zum anderen aber – und das ist noch viel wichtiger und interessanter: er lenkt ab! Wird krank, kann nicht gehen, wirkt ge-brochen, erregt Mitleid, usw., sodass niemand auf die Idee kommt, er habe es auf die Beine der anderen abgesehen! Er geht so frei aus! Niemand würde daran denken, ihn wegen irgendwelcher Ver- oder Gebrechen, Steinbrüchen, Einbrüchen usw. zu verdächtigen, da er sich ja als Gebrochener verkleidet hat, WEIL er sich ja sein eigenes Bein gebrochen hat! Das ist der Trick! Versteht Ihr?
Publikum: Gemurmel.
C meldet sich: Ja, das stimmt. In der Bibel steht: Brich weder Dir selbst noch einem anderen etwas.
A: Nochmal eine Eins!
C: Danke.
A: Genau das ist es. Wenn einer sich selbst etwas bricht, dann bricht er selbstverständlich auch allen anderen etwas. Dann hat er keine Skrupel mehr, er hat es ja vorher an sich selbst ausprobiert. Weder sich selbst gegenüber noch anderen gegenüber!
B: Aber so kann man das doch nicht sagen…
A: Wie denn sonst?
B: Wenn einer einen Unfall hat oder, bitte schön, sich etwas bricht, dann heisst das doch nicht, dass er das auch mit allen anderen macht!
A: Du bist naiv. Unsere liebe Sprache sagt es uns ja deutlich: Einbrecher, Eisbrecher, Gesetzesbrecher, Verbrecher, Umbrecher, Aufbrecher, Ausbrecher, Erbrecher, Brotbrecher, und was es da sonst noch alles gibt, kommt vom BRECHEN. Sie brechen! Zerstören. Da ist Gewalt im Spiel. Gegen wen oder was ist zweitrangig, bzw. gegen jedweden Wen oder jedwedes Was.
B: Tages-Anbruch?
A: Ist Bruch! Bruch mit der Nacht, Bruch mit dem gesunden Schlaf, das heisst Leben, Bruch mit der Familie, den Essgewohnheiten, Bruch mit der Dunkelheit, was Du willst - es ist und bleibt ein ein Bruch! Und ein Bruch ist Gewalt.
B: Brechen kann doch auch etwas Gutes sein! Brotbrechen zum Beispiel.
A: Nein, eben nicht! Brot muss man schneiden – Brot brechen zeugt von schlechter Erziehung.
B: Ich glaube, Sie reden Unsinn.
A: Was? Bist Du etwa auch ein Brecher? Brichst hier meine logischen Ausführungen entzwei, meine ganze Argumentationskette…?
B: Ist doch keine, ist doch absurd, weiches konfuses Geschwätz, was man gar nicht brechen kann, höchstens verbiegen.
A: Ja, biegen und brechen und reden und reden und noch ein Wort und immer wieder noch ein Wort und nie hört das auf. Das könnt Ihr, Du und Max. Du bekommst Dein Zeugnis ja gleich. Da wirst Du sehen, was brechen heisst. Du fliegst von der Schule wegen Verbiegung und Unterbrechung meines Vortrags! Aus! Alle Brecher werden auf Biegen und Brechen wie von selbst zusammenbrechen! Das ist Naturgesetz!
B bricht zusammen, erbricht sich.
A: Da! Da! Hab ichs nicht gesagt? Wie von selbst!

 Gundi Feyrer



Mittwoch, 19. August 2015

Deutsche Post verhindert den Freizeit-Schamanen

Abbildung aus: Thomas Glatz, Tischlektüre

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich habe folgende Reklamation vorzubringen:

Mitte Juli wurde mir von einem Verleger aus Irland ein Paket mit wichtigen Unterlagen gesendet. Dieses Paket war sehr lange unterwegs und ich wurde nicht benachrichtigt; d.h. auch nach einer Anfrage und Reklamation nicht. Zufällig lagerte es in meiner Poststelle.
Da man mich dort seit Jahren kennt, gab man mir es auch ohne Paketschein mit.

Den Inhalt des Pakets aus Irland (Impressum-Blätter für ein Künstlerbuch) signierte ich und versuchte es wieder zurückschicken, denn der Verleger brauchte diese Blätter für die abschliessende Verarbeitung des Buchs. Am 1. August brachte ich das Paket zur Filiale. Sendungsnummer war 713xxxxxxx. Am 11. August kam die Sendung aus nicht angegebenen Gründen zurück. Vermerk laut Tracking ist: Die Sendung wurde erfolgreich zugestellt – an den Absender, was ein Witz ist. Ich gehe davon aus, dass die DHL schon unterscheiden kann, das bei einem Paketschein rechts die Anschrift und links der Absender steht. Anschrift ist und war: Francis van Maele, DUGORT – ACHILL, COUNTY MAYO, IRELAND. Ja, ohne Postleitzahl. Der Verleger bekommt jede Woche zig Pakete aus aller Welt; nur offensichtlich von der DHL nicht. 

Da der DHL-Bote auch nicht wusste, warum das Paket zurück geschickt wurde und mir auch keine Empfehlung geben konnte, was da jetzt zu machen ist, blieb mir nichts anderes übrig als das Paket noch einmal auf den Weg zu bringen. Natürlich musste ich es neu frankieren. Trackingnummer ist jetzt 7131xxxxxxx. Der Sendungsverlauf ist dermassen albern: zweimal Rüdersdorf (Paketverteilungsstelle). Danach der Versuch, das Paket an mich zurück zu senden – mit dem Vermerk „Der Empfänger ist unbekannt“. Ja, stimmt. Berlin ist nicht Irland. Im Moment wird wohl nachgeforscht.

Die netten Mitarbeiter in meiner Postfiliale, die ich seit Jahren kenne und im Gegensatz zu den unterbezahlten Paketfahrern ihrer Tochterfirmen noch ansprechbar und bekannt sind, meinten tatsächlich: „Es ist hier einfach nur noch zum Kotzen. Keiner weiß mehr, was der andere tut. Nachbarn mutieren zu ehrenamtlichen Mitarbeitern der DHL, da sie in ihren Ladengeschäften und Wohnungen Sendungen deponieren für die es keine Zuständigkeiten gibt. 

Mich erinnert das ein wenig an den regen Kunstaustausch Ende der 1980er Jahre mit den Transfuturisten Serge Segay und Rea Nikonova aus der südrussischen Provinz. Die schrieben mir am Anfang unserer Korrespondenz im gebrochenen Deutsch: „Bitte nur per Einschreiben schicken. Russische Post ist ein Schwein.“ Aber unsere Sendungen kamen immer an. 

Was sich vielleicht amüsant anhört, ist es nicht.

Der Verleger wartet seit einigen Wochen auf diese Blätter und bekommt sie nicht.


Ausserdem habe ich zweimal 16,99 € für den Versand bezahlt.

Mit freundlichen Grüßen

Donnerstag, 13. August 2015

die daseinsfreude des thomas mann muss ein ende finden

Thomas Mann´s Vater
Thomas Johann Heinrich Mann

es ist sehr heiss am ammersee. seit wochen schon kein tropfen aus den wolken. der grundwasserspiegel sinkt, der see zieht sich zurück, die kanadische goldrute ist in voller blüte (normalerweise erst vier wochen später), das laub an manchen bäumen verfärbt sich schon, die dürre wird bedrohlich.

zufällig stosse ich bei der arbeit in meinen expressionismus-ordnern auf einen brief des leider immer noch gefragten deutschen vielschreibers thomas mann an den späteren präsidenten der reichsschrifttumskammer & ss-brigadeführer hanns johst vom 16. september 1920. darin habe ich mir schon vor jahrzehnten folgenden satz angestrichen:
  
Ich liebe Sie sehr, Herr Hanns Johst und freue mich Ihres Daseins. Sie stellen Jugend dar, Kühnheit, Radikalismus, stärkste Gegenwart, - ohne irgend etwas mit jener gallo-jüdisch-internationalistischen „Geistigkeit“ zu schaffen zu haben, von der das deutsche Geistesleben sich eine Weile tyrannisieren lassen zu müssen glaubte.

dass er das wort „Geistigkeit“ ist anführungszeichen setzt, belegt den  hier offen zutage kommenden antisemitismus des thomas mann. seine ….. „geistige“ unterstützung des nationalsozialismus zeigt sich auch darin, dass er im exil schreibt, er könne öffentlich keine kritik an  den nazis üben, da er rücksicht auf seine leser im deutschen reich nehmen müsse. im pariser tageblatt faselt er von ‚der härte der nationalsozialistischen rassephilosophie‘! was für ein autor ist das überhaupt, der den grössten massenmord der neueren geschichte mit einer philosophie(!) der erhabenen härte apostophiert!

es ist wohl an der zeit, diesen spiessbürgerlich deutschtümmelnden schreiber den klauen der thomas-mann-afficionada zu entreissen & einer genaueren prüfung zu unterziehen, wie dies in letzter zeit (endlich! endlich!) auch mit martin heidegger geschehen ist.

hartmut geerken

Thomas Mann – Deutsche Hörer! 

Aus dem Ordner Ablage (Diskussion "Digitale Poesie", 13.02.2004)


Während ich den einzig wirklich amüsanten Redner dieser Diskussion filmte, der von Nerds, dem Chaos Computer Club, der Divergenz zwischen Dicht- und Programmierkunst filmte, sagte L. dauernd: "Machst du mir eine Kopie, machst du mir eine Kopie; ich schreibe eine Geschichte, ich schreibe eine Geschichte." Am Ende verstand ich kaum etwas - weder mit Simultanübersetzung noch ohne. Es wurde über Hypertexte, Schriften, Poesie-Programmierungen, Semantik, Semiotik, Modalitäten und Modelle gesprochen - aber der Sinn wurde kaum erfasst. Sprach mit André Vallias, der sehr sanft und freundlich war und meinte, die Künstler fügen sich in ihre Institution ein und stecken ihr Territorium ab wie pissende Hunde. Ging dann mit R. und L. ins Restaurant. L. bestellte dasselbe wie ich: Bratwurst mit Kartoffelsalat, Tomaten und Gurken. L. ließ die Gurken auf dem Teller liegen und sprach von Wolfdietrich Schnurre und dem "Tractatus logicus philosophicus" von Wittgenstein. R. murmelte etwas durch seine neue Wäsche: neue Hose, neuer Pullover, neue Schuhe, neue Socken, neue Jacke - von den Nerds bei der ersten grossen Netzwerkeinrichtung im Jahre 1994. Was ist ein Nerd? Ein Nerd ist ein asozialer und hässlicher Technoid, der sich in der Öffentlichkeit tapsig bewegt und den die Frauen hassen. Ein Geek hingegen ist der eloquente Vermittler, der sein Computerwissen vermitteln kann und bei Frauen gut ankommt. Während wir aßen und redeten, sahen wir einen kleinen grauen Mann. Das war Heinz Gappmayr, der aber nicht zur Diskussion kam, sondern sich eine Ausstellung ansah. Beim Abschied fragte mich L., ob wir Herrn Gappmayr begrüssen sollten. Ich ging zu ihm hin, gab ihm die Hand, stellte L. und mich vor. Herr Gappmayr sprach von seiner Ausstellung im Mies van der Rohe Haus in Höhenschönhausen. Und L. sprach von V. Seine Begleiterin flüsterte ihm etwas ins Ohr und wir verabschiedeten uns.