Hat das jemand gesehen? |
Freitagabend, 21. November, ca. 20 Uhr 20, U1 - U-Bahnhof Prinzenstraße. Ein erschöpfter und zufriedener Verleger kommt von der sogenannten Artbook Berlin (598 Aussteller und 3 Sammler) und liest auf seinem Device mit der IMEI-Nr. 357998058549811 Neuigkeitem auf Sport1, dieser Applikation, die seit ihrer Aktualisierung immer Werbebalken über den zu lesenden Text einblendet. Armin Veh, das Dickerchen aus Stuttgart, der sich zuweilen wie ein 18-jähriger kleidet, ist zurückgetreten. Dann kommt die Werbebotschaft "Willst du Mitglied bei Facebook werden?" Klicke hier, klicke da. Nein, ich will kein Mitglied bei Facebook werden. Mein iPhone 5s, 16 GB, weiss und silbern und ich, nehmen nichts wahr. Plötzlich wird es mir aus der Hand gerissen. Ich hinterher. Die Tür schliesst sich. Räuber und iPhone sind weg. Das war ziemlich clever gemacht. Dank gewöhnlichem iPhone-Autismus habe ich den Mann gar nicht wahrgenommen. Der hat bis zum Signal der schliessenden Türen gewartet, mir das Teil aus der Hand gerissen und ist dann um sein Leben gerannt. Zwei junge Männer haben es beobachtet, nehmen sich meiner an. Wir steigen an der nächsten U-Bahnstation aus. Täterbeschreibung: dunkle Mütze, Mitte bis Ende 20, eine Jacke mit einem schweizer Emblem. Meinen die Wellensteyn? Tragen iPhone Räuber Wellensteyn-Jacken?
Ich rufe die Polizei mit dem Telefon eines der jungen Männer. Die sagen mir, ich solle zur Wache in der Friedrichsstraße fahren. Das ist mir nun zu anstrengend und ich fahre weiter in Richtung Möckernbrücke, rufe meine Frau an und beauftrage sie, die SIM-Karte löschen zu lassen. Nach einigem Hin und Her mit den Telekomikern gelingt es ihr. Möckernbrücke, U7, Kleistpark. Vor einem griechischen Restaurant auf der Hauptstraße frage ich einen Mann, ob hier in der Nähe eine Polizeiwache sei. Er ist überaus hilfsbereit, leiht mir sein Galaxy S3, 4 oder 5, nimmt sich meiner an. Ich staune, dass so viele gute, hilfsbereite Menschen in Berlin unterwegs sind. Die tragen aber keine Jacken mit schweizer Emblem.
Die Polizei am Telefon will alles wissen. Wie ich heisse und wie die Hausnummer ist, vor der ich stehe, wie das Restaurant heisst, wann, wo und um welche Zeit die Tat geschehen ist. Die Beamten holen mich 10 Minuten später ab und dann gehts ab zur Wache am Ende der Hauptstraße. Hier wird ein Protokoll in einem renovierungsbedürftigen Raum mit zwei alten Windows-Rechnern aufgenommen. Nicht mal W-LAN haben die hier. Arme Polizei. Kein Geld, keine Beamten. Die Kohle steckt im Flughafen "Willy Brandt". Jeder organisierter Smartphone-Hehlerring ist der Polizei haushoch überlegen. Die können nur reagieren, protokollieren, deligieren. Zunächst wurde ich gefragt, ob ich Widerstand geleistet hätte. Nicht ich, aber kurz meine Hand, als mir das iPhone aus der Hand gerissen wurde. Das geschah vielleicht in 0,25 Sekunden. Also ist das kein Diebstahl sonden Raub. Dafür ist das Raub-Dezernat zuständig. Die haben zumindest Zugriff auf die U-Bahn-Kameras. In welchem Waggon ich gesessen habe? Keine Ahnung. Das Raub-Dezernat möchte aber erst ein Protokoll. Ich bekomme ein Aktenzeichen und soll die IMEI-Nummer nachreichen. Und das iPhone orten? Machen die nur bei schwerer Körperverletzung oder Mord.
Ansonsten müssten sie in mehreren Wohnungen klingeln. "Entschuldigen Sie, haben sie ein iPhone 5s mit der IMEI-Nummer 357998058549811 gesehen?" Unmöglich. Den Rest gehe ich zu Fuß nach hause, bin gleich am Rechner, rufe mich selber an ("Zur Zeit nicht erreichbar") und schaue gleich via "Mein iPhone suchen" nach dem Gerät. Es ist offline. Das Löschen der Daten beantragt. Die Chancen, das Gerät wiederzubekommen, sind gering. Allerdings weiß ich nicht, was der zukünftige Besitzer mit einem Fingerprint- und Code-gesicherten und der ihm unbekannten Apple-ID anfangen soll. Wiederherstellen des Geräts geht wohl nicht so einfach. Vielleicht sollte der "Kill Switch" von Apple in den nächsten iOS-Upgrades noch etwas weiter gehen. Nicht nur fernlöschen sondern vielleicht auch explodieren lassen. Aus der Perspektive eines Täters ist es ziemlich leicht, den Leuten ihre Smartphones aus der Hand zu reissen. Sobald sie auf das Display schauen, nehmen sie ihre Umgebung nicht mehr wahr, verfallen im Anti-Kommunikationsmodus mit der sozialen Ralität.
Einige Tage später, Regionalzug von Magdeburg nach Frankfurt/Oder. Vor mir sitzt ein junger Mann, der dem Klischee eines Smartphone-Diebes entsprechen könnte. Am Bahnhof Friedrichsstraße steigt er aus und lässt sein Sony Xperia auf dem Sitz liegen. Es ist mit einem Muster gesichert. Er braucht nicht lange, um den Velust zu realisieren und ruft an: "Hallo, hallo, wer ist da..." Das Gepräch bricht ab. Dann ruft er noch einmal an. Ich sage ihm, dass ich unterwegs nach Bad Saarow bin und das Gerät der Schaffnerin geben werde. Er sagt mir seinen Namen, die Adresse und die Telefonnumer seiner Mutter. Ich gebe der Zugbegleiterin das Smartphone und schreibe seiner Mutter eine Kurznachricht. Das Gerät kann er am sogenannten Service Point der Deutschen Bahn am Ostbahnhof abholen.