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Mittwoch, 22. Mai 2013

Würmer im Auge



- gavdos im jahr 2002, november. ich gehe den im winter völlig einsamen strand von ag. joannis entlang. ich sehe weiter oben, wo die zedern beginnen eine alte frau arbeiten. wir winken uns von weitem zu. auf dem rückweg nehme ich den oberen weg, um zu sehen, was diese frau dort macht. als ich sie von hinten auf griechisch anspreche, dreht sie sich um, & ich erkenne, dass sie eine junge frau von höchstens 30 jahren ist, aber gekleidet wie eine alte griechin. sie macht einen ziemlich schmutzigen eindruck, aus ihrem kinn spriessen unappetitlich einige lange haare, ihre fingernägel haben schwarze trauerränder, aber ihre augen sind strahlend blau. sie spricht gut englisch und erklärt mir, sie studiere soziologie an der universität patras und sie sammle im winter hier den müll auf, den die touristen im sommer hinterlassen haben. tatsächlich sehe ich auch eine ganze reihe von vollen schwarzen müllsäcken. sie sagt, weiter oben gebe es eine süsswasserquelle. sie bietet mir frisches wasser aus einem vollkommen verdreckten gelben plastikbecher an. ich verzichte gern. sie will mir unbedingt den weg zur süsswasserquelle zeigen, aber mir ist es nicht danach, in engeren kontakt mit ihr zu treten. dann erzählt sie mir, dass sie würmer habe. in ihrem morgendlichen scheisshaufen seien massenweise würmer gewesen. ich empfehle ihr täglich zwei rohe knoblauchzehen & zwei schnapsgläschen voll essig, davon eins morgens auf nüchternen magen. dann verabschiede ich mich.
etwa eine woche später gehe ich wieder an diesem strand entlang. die frau ist nicht zu sehen. ich will nun allein die süsswasserquelle finden & beginne am ende des strandes von der küste aus die dort beginnenden felsen hochzuklettern. es gibt einen etwa 20 cm breiten ziegenpfad. aber da es in der nacht stark geregnet hatte, war dieser pfad sehr glitschig, links ging es steil nach oben & rechts fast senkrecht nach unten ins meer. ich denke an meine familie, will kein weiteres risiko eingehen & entschliesse mich, die quelle ein andermal zu suchen. ich drehe mich um, um nach hause zu gehen, da steht diese frau keine zwei meter hinter mir! sie hat sich geräuschlos an mich herangeschlichen. sie besteht wieder darauf, mir die quelle zu zeigen, aber ich lehne ab & will den rückweg antreten. da rafft sie ihr dünnes kleid hoch, steht 'unten ohne' vor mir in ihrer ganzen (unfeinen) pracht & sagt, dass die würmer jetzt bis hinter ihre augen hochgestiegen seien. sie könne sie genau sehen & spüren. ich mache mich angewidert auf den heimweg, obwohl sie immer weiter darauf besteht, mir die quelle zu zeigen.
zu hause erzähle ich den freunden diese geschichte. sie hören sehr ernst zu & sagen, als ich fertig bin, ich hätte glück gehabt: genau an dieser stelle sei im letzten jahr ein engländer spurlos verschwunden. die geistig gestörte frau, offensichtlich eine pathologische männerhasserin, wollte mich sehr wahrscheinlich in dem moment, wo ich mich glücklicherweise umdrehte, über die felsen hinunter ins meer stossen.
später hörte ich, dass ihr vater auf die insel gekommen sei, um sie abzuholen. 
Hartmut Geerken

Mittwoch, 15. Mai 2013

Satama

Tommy Hilfiger Model


Was fällt ihnen ein, wenn sie „Satama“ hören? Denken Sie dabei an schwarze Messen?
Tatsächlich nennt sich eine Wellnessanlage in Brandenburg so. Genauer liegt diese Event-Sauna in Wendisch-Rietz am Scharmützelsee. Dort war ich zu Gast vor der letzten Bundestagswahl und das Verhältnis von NPD-Wahlplakaten zu den übrigen Parteien betrug etwa 3:1. Wendisch-Rietz ist ein ziemlich hässlicher Ort. Es gibt dort ein künstliches skandinavisches Dorf mit Ferienhäusern samt Leuchtturm, eine psychiatrische Klinik und eben diese Sauna. Eigentlich ein Ort, den man vergessen kann, wenn mir nicht kürzlich die Werbebroschüre der Satama-Sauna in die Hände gefallen wäre. Schliesslich war ich dort auch vor Jahren und eigentlich eher genervt von dem nackten Gewusel in dieser Anlage. 

Aber werfen wir einmal einen Blick auf die Rhetorik dieser Broschüre: „Hören Sie nur, der klangvolle Name SATAMA drückt Sehnsucht nach Zufriedenheit und Erleichterung aus. Spüren Sie die Vorfreude, die Ungeduld, spüren Sie das Heimweh - wundert es Sie da noch, dass SATAMA „der Hafen“ (finnisch) bedeutet? Legen Sie nun an, erlösen Sie sich und finden Sie hier Ihre Ruhe und Erholung...“ Weiter heisst es: „Ein Schiff, gebaut aus langer Tradition, aus Wissen und Erholung, stabil und überlegen, wird sie sicher und ruhig in den Hafen der Entspannung leiten...“ Schwadroniert wird weiter über die „nordische Eleganz“ (der Landschaft?), der natürlichen Atmosphäre (was soll das sein?) und die diversen Saunen, die sich Tuli, Maa, sibirische Banja, Gradierwerk, Bi-O-Bad, Tiroler Stubensauna, Stollnsauna und SATAMA-Theater nennen. Sie werben sogar mit Aufguss-Weltmeisterschaften und ihrer „Märchensauna“, wo eine Angestellte den Gästen beim Saunen Märchen vorliest. 

Der Prospekt wirbt dabei auch mit glatzköpfigen Männern und blonden, bzw. schwarzhaarigen Frauen - und man gewinnt den Eindruck, dass hier die Männer noch Männer sind und die Frauen noch Frauen. Und viel Phantasie braucht es nicht, sich bei den Männern Tätowierungen mit Che Guevaras Konterfei vorzustellen, eingerahmt vom Runenalphabet. Und die Frauen? Eine „Turboelfe“ auf dem Hintern? 

Unter den speziellen Angeboten findet man dort dann auch die „Weiber-Wellness“: „Erleben Sie heitere Stunden mit Ihren besten Freundinnen in unserem kleinen Orient. Niemand wird Ihre fröhlichen Gespräche stören, und was ja nicht weniger wichtig ist, wenn man sich unter Frauen viel zu erzählen hat - auch Sie werden niemanden stören - egal worüber und vor allem wie laut Sie lachen.“ Adäquat dazu finden „Männertage“ statt mit „1 Neuzeller Bierbad und einer Neuzeller Bierspezialität.“ 

Besuchern von Bad Saarow sei die Wellness-Abteilung des Esplanade-Hotels empfohlen. Jenseits jedes überkandidelten Schnickschnacks fühlt man sich dort zwar ein wenig wie in einem Flughafen, aber zumindest hat deren Hotelchef vor einigen Jahren den ehemaligen NPD-Vorsitzenden Udo Voigt ausgeladen.  

Mittwoch, 8. Mai 2013

Ich-Heliozentrum


Der Heliozentriker mit einem Gucci-Sonnenbrillen-Imitat 
aus einem China-Laden auf Kreta

Elektronikengels Botschaft # 3 - Heliozentrum-Ich: Mynona, Sun Ra und die Grenzen des Bewusstseins

Zu Gast ist der Künstler, Autor, Musiker und Herausgeber Hartmut Geerken

Am Mikrofon: Hartmut Andryczuk

Themen: Geo- und heliozentrisches Weltbild, Ich-Sonne: Mynona, Salomo Friedlaender, Pariser-Exil, Nachlassverwaltung, Werkausgabe und die Ignoranz öffentlicher Institutionen, Einstein-Kritik: Albert Einstein = Aribert Neinstein, Fritz Perls, Gestalttherapie, Dichter-Philosophen, Immanuel Kant und das exzentrische Gefühl, Geistige Verwandtschaften: Friedlaender und Sun Ra, Graphologie und Transkription, Saturn-Records, Handbemalte Plattencover, Omniverse, Sun Ra als Dichter, Hauskonzerte in Kairo, Sonnenharfe, Art Ensemble of Chicago, Lester Bowie & Famoudou Don Moye, Oktoberrevolution des Jazz, Zero Sun No Point, Amanita - Musik im Fliegenpilzrausch, Afrika-Tour: Moye, Tchicai & Geerken, Magische Klänge im Busch, Freetown, British Council: vergebliche Mobbing-Versuche des Goethe Instituts.

Hartmut Geerken ist als Organisator, Koordinator und vielfältiger Künstler aktiv. Als Perkussionist arbeitet er mit diversen Free Jazz-Musikern (z.B. Art Ensemble of Chicago, Famoudou Don Moye, John Tchicai, Sainkho Namtchylak) zusammen. Als Darsteller und Komponist war er in sechs Filmen von Herbert Achternbusch aktiv. Seit einigen Jahren gibt er mit Detlef Thiel das Gesamtwerk von Salomo Friedlaender heraus. Preise und Auszeichnungen: Münchner Literaturjahr (1984), Schubart-Literaturpreis (1986), Karl-Sczuka-Preis für Radiokunst: "südwärts, südwärts" (BR 1989) und "hexenring" (BR 1994).

Valeska Gert - Bewegte Fragmente


Ernst Mitzka - Valeska Gert, Der Tod. Video, Berlin 1969

Hier eine Textprobe aus der soeben erschienenen Edition:

Valeska Gert - Bewegte Fragmente. Eine Quellenedition

"Frage: Da so großes Interesse an Ihrer Arbeit besteht und der Publikumsgeschmack sich seit den 50er Jahren sehr verändert hat, haben Sie da nicht wieder Lust, Kabarett oder Tanztheater zu machen?

Valeska Gert: Kabarett und Theater, das ist doch total veraltet und überholt! Film und Fernsehen sind die Medien der heutigen Zeit! Darauf werde ich mich konzentrieren. Ich möchte gern mit lebensgroßem Fernsehen und drei-dimensionalem Film arbeiten. Mit der Reproduktion des Naturgetreuen!

Frage: Es gibt doch auch moderne Theaterformen.

Valeska Gert: Sie meinen diese Spielereien, wo die ganze Technik und das Publikum selbst herhalten muss, damit es einigermaßen interessant wird. Das ist doch nur ganz billige Effekthascherei! Spielerei! Worauf es meiner Meinung nach in der darstellenden Kunst ankommt, ist die Magie, die vom Darsteller ausgeht, das kann keine Technik ersetzen. Technik soll die Magie verbreiten, soll ihr Medium sein, in ihren Dienst gestellt und nicht selbst der Effekt sein! Magie ist alles! Der Künstler, der sie nicht besitzt, dem nutzt auch der ganze andere Firlefanz nichts!" 

(Aus einem Interview im Jahre 1977)


Deutsch-Englische Ausgabe mit historischen wieder-  und neuen erstveröffentlichten Texten, Essays, Dokumenten über die performative Kunst von Valeska Gert (1892 –1978) sowie einem unveröffentlichtem Interview mit der Künstlerin aus dem Jahr 1977. Zudem das  Manuskript ihres verschollenen Radiobeitrags „Über den Tanz“ von 1932, einem unveröffentlichtem Brief von Valeska Gert an die Verlegerin Elisabeth Pablé von 1969, Fotos von Ruth Berlau und Herbert Tobias. 

Herausgegeben von Wolfgang Müller und An Paenhuysen.
Beiträge von Valeska Gert, Susanne Foellmer, Georg Kreisler, Wolfgang Müller und An Paenhuysen.

Der Edition liegt eine DVD mit einem Video von Ernst Mitzka aus dem Jahre 1969 bei: Valeska Gert performt „Das Baby“ und „Der Tod“. Zudem die DVD „Bewegte Fragmente“, die für die Valeska Gert-Ausstellung im Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart 2010/2011 konzipiert und ebendort gezeigt wurde. Sie enthält Sequenzen mit Valeska Gert aus Filmen von Volker Schlöndorff, Georg Wilhelm Pabst sowie einem TV-Interview mit der Künstlerin aus dem Jahre 1975.

Übersetzung ins Englische: Ana Isabel Keilson. Inliegend die Originalarbeit „Lesezeichen/Pause“ von Wolfgang Müller, signiert und nummeriert.


Präsentation der Edition am Freitag, den 10. Mai 2013 in der Galerie Maifoto, Dresdener Straße 18, 10999 Berlin ab 19 Uhr. Mit An Paenhuysen, Hartmut Andryczuk, Ernst Mitzka, Wolfgang Müller u.a.

Ausstellung: Ernst Mitzka, Valeska Gert: Der Tod and/und Das Baby. Film Stills and/und Video, 11.-17. Mai 2013.

Galerie Maifoto:
http://www.maifoto.de/startseite/gallerie/

Valeska Gert im Hybriden-Verlag
http://www.hybriden-verlag.de/hybriden/seiten/Aktuelles.html

An Paenhuysen
http://www.anpaenhuysen.com

Wolfgang Müller
http://www.wolfgangmueller.net

Valeska Gert
http://de.wikipedia.org/wiki/Valeska_Gert

Aktualisierung: Valeska Gert - Über den Tanz / Artikel in der "Jungen Welt"
http://www.jungewelt.de/2013/05-10/013.php