- gavdos im jahr 2002, november. ich gehe den im winter völlig einsamen strand von ag. joannis entlang. ich sehe weiter oben, wo die zedern beginnen eine alte frau arbeiten. wir winken uns von weitem zu. auf dem rückweg nehme ich den oberen weg, um zu sehen, was diese frau dort macht. als ich sie von hinten auf griechisch anspreche, dreht sie sich um, & ich erkenne, dass sie eine junge frau von höchstens 30 jahren ist, aber gekleidet wie eine alte griechin. sie macht einen ziemlich schmutzigen eindruck, aus ihrem kinn spriessen unappetitlich einige lange haare, ihre fingernägel haben schwarze trauerränder, aber ihre augen sind strahlend blau. sie spricht gut englisch und erklärt mir, sie studiere soziologie an der universität patras und sie sammle im winter hier den müll auf, den die touristen im sommer hinterlassen haben. tatsächlich sehe ich auch eine ganze reihe von vollen schwarzen müllsäcken. sie sagt, weiter oben gebe es eine süsswasserquelle. sie bietet mir frisches wasser aus einem vollkommen verdreckten gelben plastikbecher an. ich verzichte gern. sie will mir unbedingt den weg zur süsswasserquelle zeigen, aber mir ist es nicht danach, in engeren kontakt mit ihr zu treten. dann erzählt sie mir, dass sie würmer habe. in ihrem morgendlichen scheisshaufen seien massenweise würmer gewesen. ich empfehle ihr täglich zwei rohe knoblauchzehen & zwei schnapsgläschen voll essig, davon eins morgens auf nüchternen magen. dann verabschiede ich mich.
etwa eine woche später gehe ich wieder an diesem strand entlang. die frau ist nicht zu sehen. ich will nun allein die süsswasserquelle finden & beginne am ende des strandes von der küste aus die dort beginnenden felsen hochzuklettern. es gibt einen etwa 20 cm breiten ziegenpfad. aber da es in der nacht stark geregnet hatte, war dieser pfad sehr glitschig, links ging es steil nach oben & rechts fast senkrecht nach unten ins meer. ich denke an meine familie, will kein weiteres risiko eingehen & entschliesse mich, die quelle ein andermal zu suchen. ich drehe mich um, um nach hause zu gehen, da steht diese frau keine zwei meter hinter mir! sie hat sich geräuschlos an mich herangeschlichen. sie besteht wieder darauf, mir die quelle zu zeigen, aber ich lehne ab & will den rückweg antreten. da rafft sie ihr dünnes kleid hoch, steht 'unten ohne' vor mir in ihrer ganzen (unfeinen) pracht & sagt, dass die würmer jetzt bis hinter ihre augen hochgestiegen seien. sie könne sie genau sehen & spüren. ich mache mich angewidert auf den heimweg, obwohl sie immer weiter darauf besteht, mir die quelle zu zeigen.
zu hause erzähle ich den freunden diese geschichte. sie hören sehr ernst zu & sagen, als ich fertig bin, ich hätte glück gehabt: genau an dieser stelle sei im letzten jahr ein engländer spurlos verschwunden. die geistig gestörte frau, offensichtlich eine pathologische männerhasserin, wollte mich sehr wahrscheinlich in dem moment, wo ich mich glücklicherweise umdrehte, über die felsen hinunter ins meer stossen.
später hörte ich, dass ihr vater auf die insel gekommen sei, um sie abzuholen.
Hartmut Geerken